Wiener Festwochen - Susanne Kennedy versteht Theater „als Ritual“

Wien/Berlin (APA) - Es wirkt wie Theater von einem anderen Stern: Rund um ein anatomisches Präparat einer nackten jungen Frau ist ein quiets...

Wien/Berlin (APA) - Es wirkt wie Theater von einem anderen Stern: Rund um ein anatomisches Präparat einer nackten jungen Frau ist ein quietschbunter, aus flimmernden Bildschirmen und Reliquienboxen bestehender Altar-Schrein aufgebaut. Hohepriester mit Manga-Masken, langen weißen Gewändern, Kopfschmuck und Blumenketten vollführen seltsame Rituale. In der 80-minütigen Performance geht es um „Die Selbstmord-Schwestern“.

Die Produktion der Kammerspiele München und der Volksbühne Berlin, die bei den Wiener Festwochen im Theater Akzent gezeigt wird, ist nach dem Scheitern des für das Vorjahr angekündigten „Medea.Matrix“-Gastspiels das Erstantreten der Regisseurin Susanne Kennedy in Österreich. Ihren prominenten Familiennamen verdankt die 1977 in Friedrichshafen am Bodensee Geborene und in Berlin Lebende ihrem schottischen Vater. Ihre Regie-Ausbildung machte sie in den Niederlanden, wo sie anschließend 13 Jahre blieb. Da hätten ihre Arbeiten noch einigermaßen konventionell ausgesehen, erzählt sie. „Damals war ich noch lange nicht so radikal. Ich habe gewusst, ich suche etwas - wusste aber nicht genau, was“, erzählt Susanne Kennedy im Interview mit der APA. „Ich habe eine starke Sehnsucht gespürt, für die ich erst allmählich eine Form gefunden habe.“

Heute gleichen Kennedy-Inszenierungen mehr beweglichen Installationen oder Performances als herkömmlichen Theaterabenden. Auch die „Virgin Suicides“ hat man aus dem Roman von Jeffrey Eugenides und der Verfilmung von Sofia Coppola ganz anders in Erinnerung. Da geht es um eine unerklärliche Selbstmord-Serie in einer amerikanischen Kleinstadt, bei der gleich fünf pubertierende Schwestern nacheinander den Freitod wählen. Davon sind auf der Bühne nur noch undeutliche Reste verblieben. „Ich nehme mir Sachen her und mache mein eigenes Ding damit - und wenn es nur ein einziges Wort ist, das übrig bleibt“, erklärt Kennedy freimütig. „In diesem Fall haben mich letztlich weniger die Mädchen interessiert als die Männer, die dauernd an sie denken.“

So ist es nur konsequent, dass in „Die Selbstmord-Schwestern“ nur Männer auf der Bühne sind. Frauen sind dagegen in den immer wieder eingespielten Selbstinszenierungen junger Mädchen auf Youtube präsent - oder als nackter Körper, der zur Ansicht und zum Eingriff freigegeben ist. Das tibetanische Totenbuch hat für diese Inszenierung ebenso eine Rolle gespielt wie die Ansichten von LSD-Guru und Ober-Hippie Timothy Leary, der sich als androgyner Avatar über den Bildschirm immer wieder an die Zuschauer wendet.

Realistische Spiel- und Sprechweisen sind Kennedy ein Gräuel. Ihre radikal künstliche Inszenierung von Marieluise Fleißers „Fegefeuer in Ingolstadt“ sorgte 2013 bei der Premiere in den Münchner Kammerspielen für einen Buh-Orkan - sowie für ihre erste Einladung zum Berliner Theatertreffen und den „3sat-Preis“. „Eine kühle Installation von kleinbürgerlicher Enge und religiösem Wahn, die mit ihren verstörend schönen Bildern lange nachwirkt“, rühmte die Jury.

In ihrer Theaterversion des Fassbinder-Films „Warum läuft Herr R. Amok?“ (ihre zweite Einladung zum Theatertreffen) trieb sie die Entnaturalisierung noch weiter. Den Latexmasken tragenden Schauspielern wurde nicht nur ihre Mimik, sondern auch ihre Stimme genommen: Ihr Text kam vom Band, eingesprochen von Laien. Masken, Pathos, Stilisierung - all‘ das ist dem Theater freilich nicht unbekannt. Im Gegenteil, dies stand am Ursprung des Theaters, als die Masse wichtiger als das Individuum war, als Strukturen und nicht einzelne Befindlichkeiten verhandelt wurden: „Ich möchte Theater wieder als Ritual verstehen, bei dem letzte Dinge verhandelt werden und Katharsis das Ziel ist“, sagt Kennedy.

Die Regisseurin formuliert ruhig und bedächtig. Sie wirkt überlegt und konsequent, und keineswegs surft sie auf einer Erfolgswelle locker dahin. „Ich bekomme viel Kritik, doch ich weiß, dass ich noch lange nicht fertig bin mit dem, was ich machen möchte“. Dazu zählt: dem Publikum den vermeintlich sicheren Boden unter den Füßen wegziehen, „die Wahrnehmung infrage stellen“. An der Berliner Volksbühne hat Kennedy jüngst mit „Women in Trouble“ gleichermaßen fasziniert wie irritiert: An sich langsam drehenden, futuristisch wirkenden Schauplätzen, die an das Filmset einer US-Serie erinnern, werden Dialogfetzen nachgespielt, bei der es um Entfremdung und Machtverhältnisse, Krankheit und Tod zu gehen scheint und die Texte eine wirre Mischung aus zusammengesuchten Zitaten sind. Und natürlich sind Masken und Playback wieder bestimmende Elemente.

Das polarisiert. „Ein bildgewaltiges Requiem auf die Menschheit“ sah die „Süddeutsche Zeitung“. „Sieht aus wie eine Parodie. Ist es aber leider nicht“, befand die „Welt“. Hundert Zuschauer-Abgänge während der zweieinhalbstündigen, pausenlosen, englischsprachigen Performance seien der Rekord, erzählt die Regisseurin. Wer sich aber darauf einlässt, wirft auch einen Blick in eine mögliche Zukunft. „Das ist härteste Kost. Das ist eine Welt, wie ich sie nicht gerne haben will“, stöhnt Festwochen-Chef Tomas Zierhofer-Kin. Sie lehne Theater als moralische Anstalt ab, sagt Kennedy. Auf eine Entscheidung „Utopie oder Dystopie“ will sie sich daher nicht festlegen lassen: „Es ist immer alles gleichzeitig. Es kommt immer ganz darauf an, was man daraus macht.“ Jene „geradezu körperliche Atmosphäre“, die herzustellen ihr Bestreben ist, ist im Idealfall „sehr kalt und sehr heiß zugleich“, eine Ästhetik eben, „die man nicht einordnen kann“, und die durch Verunsicherung neue Denkräume öffnet. Antworten wird man bei ihr vergeblich suchen. Warum sich fünf junge Frauen umbringen, das weiß Kennedy ebenso wenig wie, warum eine ganze Zivilisation sehenden Auges Richtung Abgrund unterwegs ist. Aber in ihren rätselhaften Bühnenvorgängen erzeugt sie ein ziemlich starkes Gefühl dafür, dass da ordentlich was schiefläuft. 2017 gab‘s dafür den Europäischen Theaterpreis in der Kategorie Innovation. Zu Recht.

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - „Die Selbstmord-Schwestern / The Virgin Suicides“ von Susanne Kennedy nach Motiven des Romans von Jeffrey Eugenides, Regie: Susanne Kennedy, Bühne: Lena Newton, Kostüme: Teresa Vergho, Sound: Richard Janssen, Video: Rodrik Biersteker. Mit Hassan Akkouch, Walter Hess, Christian Löber, Damian Rebgetz, Ingmar Thilo, Stimme Voice Over: Cigdem Teke; Festwochen-Gastspiel von Münchner Kammerspielen und Berliner Volksbühne im Theater Akzent, Wien 4, Theresianumgasse 18, 1. bis 3. Juni, 19.30 Uhr, Publikumsgespräch am 2. Juni im Anschluss an die Vorstellung. Karten: 01 / 589 22 11, www.festwochen.at)