Per Anhalter durch die zerfallende Galaxis: Ruth Cerhas „Traumrakete“
Wien (APA) - Ein verbummelter Musiklehrer mit ähnlich vielen Fehlstunden wie seine Schüler, eine dauergestresste, doch gut verdienende Chiru...
Wien (APA) - Ein verbummelter Musiklehrer mit ähnlich vielen Fehlstunden wie seine Schüler, eine dauergestresste, doch gut verdienende Chirurgin sowie ihre drei Kinder mit allen Problemen des Heranwachsens und Pubertierens. Kann das gut gehen? Kann, muss aber nicht. Nicht im Roman jedenfalls. Wie Ruth Cerha in „Traumrakete“ von alltäglichen Lebens- und Eheproblemen erzählt, ist nicht alltäglich.
Zugegeben, man braucht ein wenig, um in dieses fast 500 Seiten starke Buch hineinzukommen, und ganz überzeugt, dass es die regelmäßigen Ausflüge in Traumwelten und die ebenso regelmäßigen Therapiesitzungen, bei denen das Ganze analysiert wird, wirklich braucht, ist man bis zum Schluss nicht. Doch irgendwann stellt man fest, dass man sie alle ins Herz geschlossen hat, die Mitglieder einer Familie, deren Auseinanderbrechen einem richtig wehtun wird.
Im Zentrum steht Dave, ein verloren wirkender Mittvierziger, der als Kind einer aus Österreich geflüchteten jüdischen Mutter und eines ihm stets fremd gebliebenen amerikanischen Geschäftsmanns in New York geboren wurde und als Sechsjähriger nach Wien kam. Aus einer tollen Musikerkarriere wurde nichts, aber immerhin hat er - wie, ist ihm noch heute ein Rätsel - eine attraktive, erfolgreiche Frau für sich gewinnen können. Doch Janet wirkt nur noch genervt - von dem Mann, den sie doch einst anziehend fand und dem sie heute nur noch gelegentlich eine Portion Mitleidssex gönnt, und von den Kindern, die alle nicht reibungslos funktionieren und daher Energie abziehen, von der nach anstrengenden 16-Stunden-Diensten im Spital ohnedies kaum was übrig ist.
Die lieben Kinder, das sind Nobbs (Noah), Max und Mel. Nobbs, der Kleinste, ist ein Papa-Kind und in seiner Flucht in eigene Welten seinem Vater sehr nahe. Irgendwo zwischen den an seiner Zimmerdecke angebrachten Sternen wartet sein Freund auf ihn, dem er bei der Reparatur seiner Rakete zur Hand geht. Zwischendurch kann er in Absencen komplett den Bezug zu seiner Umgebung verlieren. Mit Absenzen ganz anderer Art hat Max zu kämpfen: Statt sich auf seinen Schulabschluss zu konzentrieren, verbringt er die Nächte kiffend und „World of Warcraft“ spielend. Diese Art von Realitätsverweigerung ist seinem Vater gar nicht so unsympathisch. Tochter Mel dagegen scheint pragmatisch, angepasst, zielorientiert. Ganz die Mama eben.
Ruth Cerha, „1963 als zweites Kind des bekannten zeitgenössischen Komponisten und Dirigenten Friedrich Cerha und der Cembalistin und Hochschulprofessorin Gertraud Cerha in Wien geboren“, wie ihre Biografie verrät, hat ihren neuen Roman zwischen Wien und New York aufgespannt, und dass ihm auch in den in Wien spielenden Kapiteln gar nichts Wienerisches anhaftet, ist gar nicht schlecht. Auch die englischen Dialog-Passagen passen in die Geschichte, die mehr wie ein interessanter amerikanischer Problemfilm denn wie ein raunziger österreichischer Beziehungsstreit anmutet.
„Don‘t you dare to shrink me“, knurrt die Noch-Gattin, als der Sekundenbruchteil, in dem die beiden tief verletzten und verzweifelten Partner einander ungehindert in die Seelen schauen können, vorüber ist. „Traumrakete“ ist auch ein Buch der verpatzten Chancen und verpassten Möglichkeiten. Momente, in denen man einander erkennt, und die man doch verstreichen lässt, weil die Anstrengung, sich dieser Erkenntnis zu stellen, zu mühsam sein würde. Oder Augenblicke, in denen man vor Verrat zurückschreckt, nur um etwas später selbst verraten zu werden.
Wer muss per Anhalter durch die Galaxis reisen, wenn schon die Hoffnung auf Lebensglück nicht weniger bedeutet als nach den Sternen zu greifen? Ruth Cerhas „Traumrakete“ scheint für diese Expedition nicht das schlechteste Transportmittel.
(S E R V I C E - Ruth Cerha: „Traumrakete“, Frankfurter Verlagsanstalt, 480 Seiten, 24,70 Euro, www.ruthcerha.com)