Von „Pussy Riot“ bis Skripal: Russland und seine Skandale
Abseits von Hochglanz und Perfektion: Ein Blick auf die politischen Schattenseiten Russlands der vergangenen Jahre.
Von Matthias Sauermann
Moskau — Glänzend und makellos präsentiert sich Russland derzeit während der Fußball-Weltmeisterschaft 2018. Auch die Politik nützt die Bühne so gut es geht — und betont gleichzeitig, Politik und Sport müssten getrennt werden. Das hielt Russlands Präsidenten Wladimir Putin nicht davon ab, sich bei der Eröffnungsfeier bejubeln zu lassen — und eine Rede zu halten.
Hinter den Kulissen brodelt es jedoch politisch gewaltig rund um Russland und seine Stellung auf der Weltbühne. Der Krieg in der Ukraine, an dem sich unter anfänglichem Leugnen russische Soldaten beteiligten, die laut einhelliger Meinung von Experten völkerrechtswidrige Annexion der Krim-Halbinsel und die darauffolgenden Sanktionen haben das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen abkühlen lassen. Im Syrien-Krieg unterstützt Russland das Regime von Bashar al-Assad, dem der Giftgaseinsatz gegen die eigene Bevölkerung vorgeworfen wird.
Aber auch abseits der großen und allseits bekannten Zerwürfnisse wurde Russland in den vergangenen Jahren von Skandalen erschüttert. Eine Auswahl:
Lange Haft für Punk-Gebet in der Kirche
Mit bunten Sturmhauben treten sie auf öffentlichen Plätzen in Moskau auf — immer unangemeldet und damit illegal: Die Mitglieder der Punk-Rock-Gruppe „Pussy Riot". Die Frauen protestieren so gegen die politische Ordnung und für Feminismus. Die Sturmhauben sind dazu da, um ein Zeichen dagegen zu setzen, mit weiblichen Gesichtern als Markenzeichen zu werben.
Weltweit berühmt wurde das Kollektiv durch einen Auftritt in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau am 21. Februar 2012. Die Band betrat einen nicht öffentlichen Bereich vor dem Altar und gab ein „Protest-Gebet" gegen Kirche, Staat und Präsident Wladimir Putin zum Besten. Drei Mitglieder der Band wurden daraufhin verhaftet und wegen Rowdytums angeklagt. Sie entschuldigten sich bei den Gläubigen, dennoch wurde gegen sie nach monatelanger U-Haft ein Prozess geführt, in dem sie schließlich zu zwei Jahren Haft verurteilt wurden.
Die lange Haft, das strenge Urteil riefen weltweit Kritik hervor. Politiker von US-Präsident Barack Obama abwärts setzten sich für Frauen ein. Auch Musiker wie Sting und Madonna erklärten sich solidarisch — woraufhin sie von der russischen Regierung angegriffen wurden. Schließlich wurden die bis dahin noch in Haft verbliebenen zwei Pussy-Riot-Mitglieder drei Monate vor regulärem Haftende entlassen — kurz vor Olympia in Sotschi. Sie warfen Präsident Putin daraufhin eine „PR-Aktion" vor.
Putin und die Opposition: Die ewige Saga Nawalny
Der Prozess rund um Pussy Riot reiht sich ein in das strenge Vorgehen der russischen Regierung und Justiz gegen Kritiker der Opposition. Ein Lied davon singen kann auch Alexej Nawalny. Der Anwalt erhielt bei der Bürgermeisterwahl 2012 27 Prozent der Stimmen. Seitdem führt er die Opposition gegen Präsident Putin an.
Einige Monate später wurde Nawalny wegen Unterschlagung zu fünf Jahren Lagerhaft verurteilt — die Strafe wenige Monate später in Bewährung umgewandelt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilte später, das Urteil gegen Nawalny (der Prozess wurde neu aufgerollt) sei rechtswidrig gewesen. Kritiker nannten es politisch motiviert.
Als Speerspitze der Opposition organisiert Nawalny seitdem immer wieder Proteste und Demonstrationen gegen die russische Regierung. Zahlreiche Demonstranten wurden dabei festgenommen — auch Nawalny selbst. Ihm wurde zudem der Antritt bei der Präsidentschaftswahl 2018 untersagt — wegen der vorangegangenen Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe. Damit entging Putin einem Antreten gegen den potenziell stärksten Konkurrenten.
Gift und Spione: Der Geheimdienstkrimi Skripal
Russland wird auch immer wieder vorgeworfen, noch deutlich brutaler vorzugehen. Ein Beispiel dafür ist der Fall Skripal, bei dem Russland vorgeworfen wurde, auf fremden Boden an einem Giftgasanschlag beteiligt gewesen zu sein.
Der ehemalige russische Doppelagent Sergej Skripal wurde am 4. März gemeinsam mit seiner Tochter Julia leblos auf einer Parkbank im englischen Salisbury gefunden. Später stellt sich heraus: Sie wurden Opfer eines Nervengiftanschlages. Fachkräfte sind daraufhin am Fundort und den vorherigen Aufenthaltsorten der beiden beschäftigt. Später wird klar: Es handelt sich dabei um den Giftstoff Nowitschok, das in der Sowjetunion entwickelt wurde.
Der Fall löst im ohnehin angespannten Verhältnis zwischen dem Westen und Russland eine weitere schwere Krise aus. Die USA und europäische Staaten weisen russische Diplomaten aus, Russland reagiert mit Gegenmaßnahmen. Wobei die russische Regierung jede Beteiligung an dem Attentat kategorisch abstreitet. Westliche Regierungen sprechen von eindeutigen Beweisen, diese werden hinter verschlossenen Türen besprochen, der Öffentlichkeit jedoch nicht vorgelegt.
Sergej und Julia Skripal sollen den Anschlag überleben — die Ärzte sprechen von einem „Wunder". In einer Videobotschaft äußerte sich Julia Skripal von einem geheimen Ort aus und berichtete vom extrem schmerzhaften Genesungsprozess. Moskau bezweifelte, dass Skripal sich aus freien Stücken und ohne Zwang geäußert hatte. Die Dekontaminierungsarbeiten in Salisbury sollen indes noch monatelang andauern.
Wahlen im Westen: Russland und seine Hacker
Schließlich ist Russland in der jüngsten Vergangenheit auch deshalb in die Schlagzeilen geraten, weil es Wahlen in anderen Staaten beeinflusst haben soll — allen voran in den USA. Seit mittlerweile mehr als einem Jahr ermittelt in Washington Sonderermittler Robert Mueller mit seinem Team, ob und wie von Russland aus versucht worden sein soll, die Wahlen zu beeinflussen und Kandidat Donald Trump zum Sieg zu verhelfen. Geprüft werden soll dabei auch, ob es auch zu einer Absprache zwischen dessen Team und Russland kam - was für den nunmehrigen Präsidenten rechtliche Probleme bedeuten würde.
Laut einhelligen Geheimdiensterkenntnissen und Expertenmeinungen ist indes unumstritten, dass mittels einer großangelegten Kampagne über soziale Netzwerke und über sogenannte Trollfabriken von Russland aus versucht wird, das politische Geschehen im Ausland zu beeinflussen. Eine dieser Trollfabriken wird von einem engen Freund Wladimir Putins geführt, Jewgeni Prigoschin. Der Unternehmer, auch "Putins Koch" genannt, soll eine dieser Stellen in Petersburg führen. Putin streitet jegliche Verbindungen dazu ab und spielt die Vorwürfe herunter - etwa jüngst im Interview mit ORF-Journalist Armin Wolf.
Minderheiten, Panama Papers, Doping: Blick hinter Fassade lohnt
Die Liste an Skandalen rund um die russische Politik ist damit noch lange nicht erschöpft: Da wären etwa die Panama Papers, die weltweit wegen ihres brisanten Inhaltes für Aufruhr sorgten. Daten zu steuerschonenden Finanzpraktiken von Politikern und Prominenten berührten dabei auch Russland und das Umfeld Putins.
Da wäre das Gesetz gegen "homosexuelle Propaganda", das Russland mit der Begründung "Kinderschutz" erlassen hat. Es stellt positive Äußerungen zu Homosexualität in der Öffentlichkeit unter Strafe. Außerdem den umfassenden Doping-Skandal, im Zuge dessen Russland systematisches Doping bewiesen werden konnte — und das offizielle Team sogar von Olympia ausgeschlossen wurde.
Die Schattenseiten der russischen Politik abseits von Prunk, Pop sollten nicht außer Acht gelassen werden - gleich ob der Begeisterung über ein ausgelassenes Fußballfest.