Russische Sprichwörter: Arbeit, Alkohol und gute Ratschläge
Mit diesen russischen Sprichwörtern schaffen Sie es spielend zum Stammtischvorsitzenden. Eine perfekte Vorbereitung für den nächsten lauen WM-Abend. Aber eine Warnung gleich vorweg: Einen kostenlosen Käse gibt’s nur in der Mausefalle (Besplátny syr byvájet tólko v myschelóvkje).
Gastbeitrag von Florian Kahr
Innsbruck/Moskau – Haben Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, was Sprichwörter über unsere Sicht der Dinge aussagen? Ich sage Ihnen, es ist eine ganze Menge. Und richtig spannend wird es, wenn man sich Sprichwörter einer Fremdsprache wie der russischen vorknöpft. Man stößt auf überraschende Parallelen – atmet mitunter schmunzelnd ein Stück russische Seele (rússkaja duschá).
Fjodor Dostojewskij – kennt man – nahm sich kein Blatt vor den Mund und verkündete in seinen „Brüdern Karamasow“: „Die russischen Sprichwörter sind die besten und ausdrucksvollsten unter allen Sprichwörtern der Welt”. Dabei blieb es nicht. In den letzten 140 Jahren ist sogar etliches an Stoff dazugekommen. Vom Kommunismus erbten die Russen sprichwortmäßig ordentliche Seitenhiebe auf das Faulsein. Und der Wodka spielt, wie man sich bereits denken könnte, selbstverständlich auch eine Hauptrolle. Aber schág sa schágom (auf Deutsch: Schritt für Schritt).
Aus dem Internationalen Sprachenkochtopf
Wie auch wir haben sich die Russen mit ihren geflügelten Worten reichlich aus dem Lateinischen bedient. Diese klassischen Redewendungen gibt es mittlerweile in fast jeder Sprache. Dass die Römer manus manum lavat, also eine Hand die andere waschen ließen, hört sich auf Russisch mit ruká rúku mójet fast schon etwas mafiös an. Selbstverständlich bloß eines der vielen völlig unbegründeten Vorurteile. Denn immerhin ist auch im Russischen das “Wort Silber und Schweigen Gold”, oder auch slówo serebró – moltschánje sóloto. Und wo wir gerade über Metalle sprechen: Das Eisen wird auch im Ural geschmiedet, so lange es noch heiß ist, also kuj scheléso, poká gorjátscho eben.
Typisch russisch
Wagen wir den Sprung ins kalte sibirische Wasser. Es gibt ein russisches Sprichwort, das sich auf gleich zwei verschiedene, jedoch vollkommen unterschiedliche Versionen einlässt. Dabei heißt es zunächst “Die Zunge hat keine Knochen...” – im Sinne von “die Zunge ist weich, sie hat keine Disziplin”. In der ersten Version geht es weiter mit “...was sie will, das sagt sie auch frei heraus”. Im Ganzen für unsere Angeber: “Die Zunge hat keine Knochen, was sie will, das sagt sie auch frei heraus”, oder auch jasýk bjes kostjéj, schto chótschet to i lopótschet. Die zweite Variante eröffnet eine mahnende, nachdenkliche Perspektive. Sie lautet: “Die Zunge hat keine Knochen, aber sie kann Knochen brechen”, oder russisch jasýk bjes kostjéj, a kósti lomájet. Starke Worte – so mögen es die Russen.
Bring deine Arbeit zu Ende – das Erbe des Systems
Nach der weichen Zunge kommen wir zu einer harten Nuss – den Mühen und Strapazen des kommunistischen Alltags. Da wird gemahnt und der metaphorische Zeigefinger erhoben bis zum Gehtnichtmehr. So heißt es, “Schuften ernährt den Menschen, Faulheit verdirbt ihn”, und russisch trud tschelowjéka kórmit, a ljen pórtit. Oder auch: “Rede nicht darüber, was du eine Weile gemacht hast, sondern rede darüber, was du zu Ende gebracht hast”, auf Russisch nje govorí, schto djélal, a govorí, schto sdjélal! Etwas bildhafter wird es bei, “ohne Mühen fängst du nicht einmal einen Fisch aus einem Tümpel”, russisch bjes trudá nje výlowisch i rýbku is prudá.
Des Weiteren sollten auch Anreize zu einer abgeschlossenen handwerklichen Ausbildung nicht fehlen. Wozu hat man denn schließlich ein kommunistisches System. Motivierend war da sicher das Sprichwort djélo mastera boítsa, oder auch “die Arbeit fürchtet den Meister” – eine gelungene Symbiose aus Philosophie und Propaganda. Und irgendwann drückte sich die Solidarität des sozialistischen Systems natürlich auch aus: “Der Satte versteht den Hungrigen niemals”, auf Russisch: Sýty golódnovo nje rasuméjet. Mahnend und immer aktuell. Danke dafür.
Gewinnen ohne je verloren zu haben?
Ich habe natürlich nicht vergessen, dass Sie auch ein paar prächtige Sätze für den Grillabend zur WM benötigen. Hier kommt Nummer eins: “Es zahlt sich (in Russland) aus, zu gewinnen, damit man das Verlieren nicht fürchten muss”. Klingt zwar einfach, regt aber vielleicht zum Nachdenken an. Stóit výigrat, schtob nje bojátsja proigrát, würde der Russe sagen. Noch etwas philosophischer geht Nummer zwei: “Ohne jemals verloren zu haben, kannst du nicht gewinnen”, auf Russisch nje proigráw, nje výigrajesch. Manchmal kommt es bei einer WM-Gruppenphase schon einmal vor, dass man sich im dritten Gruppenspiel einfach mal auf seinen Lorbeeren ausruht und zwei Mannschaften gut mit einem Unentschieden leben können. So sagt man auf Russisch ganz locker i wólki sýty i óvzy zély, was auf Deutsch etwa so klingt: Die Wölfe sind satt und die Schafe unversehrt. Eine Win-Win-Situation eben.
Alkoholiker und Abstinenzler – sa sdarówje
Nun folgt der Blick ins Wodkaglas. Und gleich zu Beginn die besorgniserregende Wahrheit: Die Weltgesundheitsorganisation ist sich seit langem bewusst, dass in keinem anderen Land der Welt so viele Sterbefälle unmittelbar dem Alkoholmissbrauch zurechenbar sind wie in Russland. Tatsächlich stirbt jeder fünfte russische Mann an den Folgen des beliebten Wässerchens, dem im russischen weiblichen(!) Wódka. Kein Wunder also, dass sich dieser Volkssport längst auch seine Sporen in der Welt der Sprichwörter verdient hat. Was sagt man da nun als hochgradig gefährdeter Russe über das Trinken? Die Antwort vorweg: Man ist diesbezüglich recht kreativlocker bis verharmlosend.
In dem berühmten sowjetischen 60er-Jahre-Film Brilliántowaja ruкá fiel ein Satz, der jedem Russen und jeder Russin geläufig sein dürfte. Da heißt es voll inbrünstiger Weisheit: “Auf fremde Rechnung trinkt sowohl der Gastritiker als auch der Abstinenzler”. Als Russe sagt man da nach dem achten Gratisgetränk und mit mittelstarken Schmerzen in der Magengegend ganz einfach za tschuschój stschot pjut dásche jásvenniki i trésvenniki. Der Satz an sich macht schon betrunken. Doch ganz so zynisch ist man nicht immer. Es kommen auch warnende bis ablehnende Weisheiten vor: “Was der Nüchterne im Kopf hat, das liegt dem Betrunkenen auf der Zunge”, schto u trésvovo na úmje, to u pjánovo na jazyké. Erinnert natürlich unsere alten Lateiner an das vielzitierte in vino veritas – im Wein liegt damals wie heute und auch in Russland die Wahrheit.
Möchte man sich motivieren, trinkt man allerdings nicht nur Wodka. Es sind auch andere Alkoholika für die verheerenden Folgen verantwortlich: Denn, “wer nichts riskiert, der trinkt auch keinen Champagner”, kto nje riskújet, tot nje pjot schampánskoe. Und da es in Südrussland auch ganz ordentliche, aber hierzulande gänzlich unbekannte Weingüter gibt, ist selten aber doch mal ein schwerer Rotwein dabei. Schwer gleich in zweierlei Hinsicht. Bjes viná – odnó górjе, s vínom – stároje górje, da nóvych tri, oder auch: “Ohne Wein hat man eine Sorge, mit Wein hat man eine alte Sorge, aber auch drei neue”. Offenbar sind sich die Russen der WHO-Statistik bewusst.
Gute Ratschläge, oder auch: Ende gut, alles gut!
Da ich Ihnen im Titel gute Ratschläge versprochen habe, möchte ich Ihnen diese natürlich nicht schuldig bleiben. Weil slóvo nje vorobjéj, výletit – nje poimájesch, oder auf gut Deutsch: “Das Wort ist kein Spatz, fliegt es einmal weg – fängst du es nicht mehr ein”. Doch wie gerne hätte ich Ihnen noch vielmehr erzählt. Wäre da nicht der weise Spruch, “wenn du zwei Hasen gleichzeitig nachjagst – wirst du keinen von beiden fangen”, sa dvumjá sájzami pogónischsja – ni odnovó nje pojmájesch. Ist vermutlich wahr, man sollte sich auf eine Sache konzentrieren und mit seinen Plänen haushalten. Meint auch Gott in der orthodoxen Kirche – offenbar humorvoller als hier im Heiligen Land. Die Russen sagen ja, “wenn du Gott amüsieren willst, erzähle ihm von deinen Plänen”, auf Russisch chótschesch rassmeschít bóga – rasskaschí jemú o svoích plánach.
Da wird man daran erinnert, dass der Kommunismus in Russland längst kein bestimmender Faktor mehr ist. Sie kennen ja sicher noch Marx’ “Religion ist das Opium des Volkes”. Die politischen Wahrheiten haben sich längst verschoben. Interessant ist in diesem Zusammenhang das Sprichwort jazýk do Kíjewa dovedjót, “die Sprache geleitet dich bis nach Kiew”, im Sinne von “mit Fragen kommt man auch ans Ziel”. Hätte man in Moskau die Brüder und Schwestern in der Ukraine doch nur gefragt... Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Passend zu der verkanteten politischen Situation zwischen Russland und der Ukraine mein allerliebstes russisches Sprichwort: Tot nje oschibájetsja, kto nitschjevó nje djélajet – “Es irrt sich nur derjenige nie, der nie etwas macht”. Oder wie man hierzulande sagt: Wo gehobelt wird, fallen Späne. Da sind sie wieder, die Parallelen.
Zur Person
Florian Kahr ist Marketing Manager Russland/Ukraine bei der Tirol Werbung. Der studierte Slawist bezeichnet sich als Russland-Liebhaber und hat ein besonderes Faible für die russische Sprache.