In der CSU sortieren sich die Kräfte für die Nach-Seehofer-Zeit
Heute will die CSU ein Spitzengespräch mit der CDU führen. Bei dem Treffen soll doch noch versucht werden, eine Lösung zu finden.
Berlin, München – Als nach der dramatischen Krisensitzung Horst Seehofer die CSU-Zentrale längst verlassen hatte, brannten dort am frühen Montagmorgen noch immer die Lichter. Eine kleine Runde setzte die Beratungen fort: Generalsekretär Markus Blume, der deutsche Verkehrsminister Andreas Scheuer und Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zusammen mit ihren Getreuen.
Auch wenn zur Zukunft Seehofers das letzte Wort noch nicht gesprochen war, ist klar, dass dieses Trio bei der Neuaufstellung der CSU in der Nach-Seehofer-Zeit ein entscheidendes Wort mitspricht. Dobrindt kam als Wortführer aus dieser Dreierrunde im Franz-Josef-Strauß-Haus heraus. Seine Botschaft: Die CSU ist geschlossen, sie steht uneingeschränkt zu Seehofer. „Der Rückhalt ist außerordentlich stark gewesen“, behauptete Dobrindt über die gut achtstündigen Beratungen.
Doch dass dies nicht die ganze Wahrheit ist, weiß auch Dobrindt. Denn bei den 56 Wortmeldungen zum Streit mit der CDU gab es auch kritische Stimmen. Und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) offenbarte im Hessischen Rundfunk ein pikantes Detail. Bei der Abstimmung über Seehofers sogenannten Masterplan habe es eine Gegenstimme gegeben, sagte Herrmann.
Eine Gegenstimme erscheint zu vernachlässigen – aber in der CSU ist es ungeschriebenes Gesetz, dass die Führungsgremien einstimmige Beschlüsse fassen, selbst bei erkennbaren Konflikten. So bekam Edmund Stoiber 2007 einstimmig vom CSU-Präsidium bestätigt, „die Nummer Eins“ zu sein und zu bleiben – zehn Tage später war er gestürzt.
Auseinanderdriften der Parteiführung hat begonnen
Dass in der CSU das Auseinanderdriften der vorher geschlossenen Parteiführung längst begonnen hat, zeigte sich schon im Vorfeld der Krisensitzung. Nach dem EU-Gipfel meldeten sich die vorher schweigenden liberalen Kräfte der Partei zu Wort. Die stellvertretende bayerische Ministerpräsidentin Ilse Aigner und die beiden stellvertretenden Parteichefs Angelika Niebler und Manfred Weber fanden Lob für die von Seehofer später in der Luft zerrissenen Brüsseler Ergebnisse.
Am weitesten lehnte sich Weber aus dem Fenster, der noch vor der CSU-Krisensitzung fast euphorisch die Resultate aus Brüssel als Erfolg seiner Partei darstellte. „Die CSU hat in den letzten Wochen Europa gerockt“, sagte er.
Weber verließ das Franz-Josef-Strauß-Haus in der Nacht nach der dramatischen Entwicklung wortlos. Der Niederbayer, der als Chef der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament an sich zu den einflussreichsten CSU-Politikern zählt, hat ebenso wie Aigner, die an der Spitze des größten CSU-Bezirks Oberbayern steht, derzeit offenbar wenig Einfluss in der CSU.
Falls Seehofer also wie im Raum stehend zu seinem 69. Geburtstag am Mittwoch zurücktritt, dürfte das Trio Dobrindt, Scheuer und Blume versuchen, die strauchelnde CSU wieder aufzufangen. Vor allem Dobrindt zeigt seit längerem erkennbare Ambitionen auf den Parteivorsitz.
Derjenige, der Dobrindt am ehesten in die Quere kommen könnte, scheint Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zu sein. In den vergangenen Tagen hatte er selbst den Streit mit der CDU angeheizt, unter anderem durch seinen Schulterschluss mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).
Söder warb für Kompromiss
Inzwischen klingt Söder ausgleichender. Er warb am Montag für einen Kompromiss und auch für ein konstruktiveres Miteinander von CDU und CSU. „Es gibt jetzt bei uns keinen Weg aus der Regierung hinaus oder eine Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft“, mahnte er in Passau.
Mit den Worten „Ich will nicht Parteivorsitzender werden“ hatte er noch im April eigene Ambitionen bestritten – dies war allerdings auf Spekulationen gemünzt, er könnte Seehofer verdrängen wollen. Ob er bei einem Seehofer-Rücktritt zu einer anderen Meinung kommt, ist offen – doch die Frage könnte sich schnell stellen. Ein Seehofer-Rücktritt sei unabhängig vom Gespräch mit der CDU „unausweichlich“, sagt der frühere CSU-Chef Erwin Huber.
Merkels Wunsch nach Lösung ist groß
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hofft nach eigenen Worten auf eine Lösung des Unionsstreits am Montagabend. „Der Wunsch, das zu lösen, ist groß“, sagte Merkel nach Teilnehmerangaben am Montag in der Sitzung der Unionsfraktion. Sie verwies demnach darauf, dass sie selbst schon von einer Schicksalsgemeinschaft gesprochen habe.
Dies sei die Mühe wert, zu einer Verständigung zu kommen. Allerdings handle es sich um eine anspruchsvolle Aufgabe, hieß es weiter.
Merkel verteidigte auch die europäischen Beschlüsse. Es sei harte Arbeit gewesen, die Mitgliedstaaten zu einem Dokument in der Migrationsfrage zu bringen, zumal die EU-Staaten unterschiedlich betroffen seien. Es seien gute Resultate erzielt worden. Sie setze jetzt auf die österreichische EU-Ratspräsidentschaft.
Auch Unionsfraktionschef Volker Kauder gab sich mit Blick auf eine Einigung im Asylstreit optimistisch. Er erwarte, dass es am Abend zu einer Lösung komme, sagte Kauder in der Sitzung der Fraktion, wie Teilnehmer berichten. „Wir bleiben beieinander“, sagte der CDU-Politiker den Angaben zufolge mit Blick auf die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU und erhielt dafür minutenlangen Beifall. „Es wird darauf ankommen, jetzt alles unter einen Hut zu bringen.“ Die Lage sei aber angespannt. (APA/AFP)
Koalitionsausschuss tagt um 22.00 Uhr
Nach dem Spitzengespräch der Union am Montagnachmittag (17 Uhr) wird um 22 Uhr auch der Koalitionsausschuss von CDU, CSU und SPD tagen. Das kündigte Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) am Montag in der Sitzung der Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU an. Der Ort sei noch nicht klar – es gab in der Union Stimmen, die von einem Treffen im Kanzleramt sprachen.
Zuvor hatte die SPD angesichts des Unionsstreits auf einen Krisengipfel der Koalition noch am Montag gedrungen. Vor dem Koalitionsausschuss wollen die Spitzen von CDU und CSU zusammenkommen, um noch einmal nach einen Ausweg aus dem festgefahrenen Streit über die Flüchtlingspolitik zu suchen.