Europäische Pressestimmen zum deutschen Asylstreit

Berlin/München (APA) - Europäische Tageszeitungen kommentieren die Krise zwischen CDU und CSU am Montag:...

Berlin/München (APA) - Europäische Tageszeitungen kommentieren die Krise zwischen CDU und CSU am Montag:

„Le Figaro“ (Paris):

„Die politische Zukunft der ‚Kaiserin‘ ist in der Schwebe. Die bayerischen Verbündeten der Kanzlerin, die von ihr eine Verschärfung der Flüchtlingspolitik fordern, lassen sich nicht überzeugen. Weder von den Fortschritten auf dem EU-Gipfel der vergangenen Woche noch von den bilateralen Abkommen, die Angela Merkel mit einigen europäischen Ländern geschlossen hat. Wird die CSU bis zum bitteren Ende der Krise gehen? Wenn die Bayern das Kräftemessen fortsetzen, droht der Bruch der Regierungskoalition. Und vorgezogene Neuwahlen. Was heute in Berlin geschieht, ist eine Warnung für Angela Merkel, aber auch für ihre EU-Partner.“

„Corriere della Sera“ (Mailand):

„Die Sorge wegen der Migranten, der konfuse europäische Gipfel der vergangenen Woche und die neue italienische Härte lassen die Große Koalition Angela Merkels und die Fundamente der Europäischen Union knirschen. Nur drei Monate alt, musste die deutsche Regierung letzte Nacht den Rücktritt des Innenministers und das Risiko bewältigen, die Unterstützung der bayerischen Vettern von der CSU zu verlieren. Dem Innenminister Horst Seehofer gefallen die von Frau Merkel in Europa erzielten Ergebnisse nicht (...) Die Kanzlerin kann jetzt hoffen, dass die CSU ihren Anführer Seehofer fallen lässt und sie weiter auf nationaler Ebene unterstützt. Andernfalls könnte sie sich nach links wenden und die Grünen in die Exekutive aufnehmen oder vorgezogene Wahlen anstreben. Die Kanzlerin hat für ihre Migrationspolitik und die Verteidigung des europäischen Zusammenhalts teuer bezahlt.“

„De Tijd“ (Brüssel):

„Solange es der deutschen Regierung nicht gelingt, die interne Debatte über den Umgang mit der Migrationsproblematik beizulegen, bleibt es schwierig, an einer europäischen Lösung zu arbeiten. Deutschland muss rasch für Klarheit sorgen. (...) Die Bundeskanzlerin argumentiert, dass eine europäische Lösung unmöglich wird, sollte Deutschland die Rolle des Einzelgängers spielen, weil die anderen EU-Mitgliedstaaten das dann ebenso machen würden. Das macht deutlich, dass Horst Seehofer das Kräftemessen mit Merkel nicht gewinnen kann, ohne die mehr als 50 Jahre alte Verbindung zwischen den christdemokratischen Schwesterparteien CDU und CSU zu sprengen und damit eine Regierungskrise auszulösen. Doch Einlenken will er auch nicht, weil er seine Glaubwürdigkeit dann vollständig verlieren würde. Deshalb hat er Sonntagnacht seinen Rücktritt als Innenminister und CSU-Vorsitzender ins Spiel gebracht.“

„Guardian“ (London):

„Seehofers Rücktritt würde der unter Druck stehenden Bundeskanzlerin Angela Merkel vorübergehend eine Atempause verschaffen. Denn damit würde ein Politiker verschwinden, der seit seinem Amtsantritt als Innenminister zu ihrem Erzfeind innerhalb der eigenen Regierung geworden ist. Wenn aber nach Seehofers Ausscheiden sein Nachfolger einen ähnlich konfrontativen Ansatz verfolgen würde, könnte dies ein Ende der historischen Allianz von Merkels CDU mit der bayerischen CSU bedeuten. Das würde für die Koalitionsregierung der Kanzlerin das faktische Aus bedeuten.“

„Tages-Anzeiger“ (Zürich):

„Welche Folgen Seehofers Rücktritt haben würde, war vorerst völlig unklar. Denkbar wäre, dass ein anderer CSU-Politiker Seehofer als Innenminister nachfolgen könnte, etwa (CSU-Landesgruppenchef Alexander) Dobrindt. Dieser hat sich in den letzten Wochen im Asylstreit mit Merkel jedoch als noch unerbittlicher hervorgetan als Seehofer.

Seehofer begründete seinen Entscheid nach Angaben von Teilnehmern vor der Parteispitze damit, dass er nur drei Optionen sehe: Entweder die CSU gebe im Streit mit Merkel klein bei, auf Kosten ihrer „Glaubwürdigkeit“. Oder sie bleibe hart - und riskiere den historischen Bruch mit der CDU. Die dritte Option sei sein eigener Rücktritt. Dafür habe er sich entschieden.“

„Neue Zürcher Zeitung“:

„Das wäre möglich, wenn die CSU aus dem Fraktionsbündnis mit der CDU austritt und der Kanzlerin die Unterstützung entzieht. Diese hätte dann keine Mehrheit im Bundestag mehr. Sie bliebe aber Bundeskanzlerin und könnte versuchen, eine neue Regierung ohne die CSU zu bilden. Denkbar wäre es, die Grünen anstelle der CSU in die Regierungskoalition aufzunehmen; die nötige zahlenmäßige Stärke und die grundsätzliche Bereitschaft, mit der CDU und der SPD Regierungsverantwortung zu übernehmen, hätte die Partei. Von diesem dramatischen Schritt müsste Seehofer allem Anschein nach aber erst noch die CSU-Führung überzeugen, die sich am Sonntagabend stundenlang beriet. Ein Bruch mit der CDU vier Monate vor der Landtagswahl in Bayern wäre ein großes Risiko für die CSU.“ „La Repubblica“ (Rom):

„Auch wenn sie die innenpolitische Krise dieser Stunden überlebt, scheint Angela Merkel heute stark geschwächt in Europa. Nicht so sehr wegen des knapperen Wahlsieges, der sie im vergangenen Herbst zum vierten Mal zur Kanzlerschaft führte, und auch nicht wegen der langen und ermüdenden Verhandlungen, die der Regierungsbildung vorangingen. Das Problem ist, dass die Kanzlerin in der EU diese zentrale politische Rolle verloren hat, die ihr über Jahre eine unbestreitbare Autorität verliehen hatte.“

„Magyar Idök“ (Budapest):

„Diesen Blödsinn haben die Ministerpräsidenten Ungarns, Tschechiens und Polens umgehend zurückgewiesen. (...) Es ist gut zu wissen: Die Kräfte im Hintergrund, die an einem interkontinentalen Bevölkerungsaustausch interessiert sind, werden von den derzeitigen Nachhutgefechten zum Gegenangriff übergehen. Weiterhin irrt, wer auch nur irgendetwas aus Merkels Mund kritiklos glaubt. Sie ist darauf programmiert, die Migration zu unterstützen. Es lässt sich prophezeien, dass sie auch in Zukunft von sich aus keinen einzigen Schritt billigen wird, der die illegale Menschenflut hintanhalten würde. Jeder verbale Rückzug, jede Anerkennung der Verteidigungsarbeit anderer (wie neulich ihre positive Würdigung des ungarischen Grenzzauns) dient bei ihr bloß taktischen Zwecken.“