Paulus Manker spielt Karl Kraus: 75 Szenen für 728,75 Euro Subvention

Wiener Neustadt (APA) - In der Serbenhalle in Wiener Neustadt probt Paulus Manker mit einem Mammut-Ensemble ein Mammut-Stück. Der Theater-Ma...

Wiener Neustadt (APA) - In der Serbenhalle in Wiener Neustadt probt Paulus Manker mit einem Mammut-Ensemble ein Mammut-Stück. Der Theater-Maniac bringt heuer „Die letzten Tage der Menschheit“ als „Polydrama“ zur Aufführung. Im Mail-Interview mit der APA gab der Unermüdliche zu Szenenwahl, Umsetzung und Finanzierung Auskunft. Den Sommer beendet er mit der Jubiläums-Vorstellung seiner „Alma“ und mit der eigenen Hochzeit.

APA: Herr Manker, wie lange verfolgen Sie schon das Projekt, „Die letzten Tage der Menschheit“ auf die Bühne zu bringen?

Paulus Manker: Wir wollten natürlich schon 2014 spielen - zum 100-jährigen Gedenken des Ersten Weltkriegs. War damals aber noch nicht finanzierbar. Erwin Pröll sagte aber dann nach der Premiere von „Alma“ 2014 seine tatkräftige Unterstützung zu. Das war der Anstoß, das hat die Power und den Antrieb gegeben. Sie können sich vorstellen, was sein Abgang aus der Politik für uns bedeutet hat.

APA: Das Stück hat ja Mammut-Dimensionen. Nach welchen Gesichtspunkten haben Sie die Text- bzw. Szenen-Auswahl getroffen?

Manker: Nach ihrer Sinnlichkeit. Und ich bin überrascht, wie viel blutvolle und theatralisch wirkungsvolle Szenen in dem Stück zu finden waren. Wir spielen immerhin über ein Drittel des gesamten Textes, also 75 Szenen. Da Kraus das Drama einem „Marstheater“ zugedacht hat, betritt der Zuschauer bei uns also sozusagen einen fremden Planeten.

APA: Werden Sie Ihr Konzept des „Polydramas“ auf die „letzten Tage“ anwenden, welche Schauplätze wird es geben? Was erwartet die Zuschauer? Wie viele Mitwirkende gibt es?

Manker: Ja, natürlich. Nur wird es noch mehr Gleichzeitigkeit geben als bei „Alma“, bis zu sechs Szenen gleichzeitig. Es gibt 13 Schauplätze: Im Erdgeschoß befinden sich Schlafzimmer, Küche, Bad, Café Pucher, Kafkaraum, Serbenzimmer. Und im ersten Stock: Lazarett, Kriegsküche, Büro des Hofzeremonielldepartments, Zeitungsredaktion, Memorial mit Sarg, Comptoir und das Büro des Außenministers Berchtold. Und in der großen Halle befindet sich die Sirkecke, der Schanigarten des Café Pucher, das Café Serbia, ein Wiener Nachtlokal, das Restaurant des Anton Grüßer und Schloß Schönbrunn. Und im Freien wird natürlich auch gespielt, etwa der Schützengraben im Prater oder das Schlachtfeld. Wir spielen von 18:00 bis knapp vor 1:00 Uhr. 21 Mitwirkende und die Kinder einer Schulklasse, 13 Mann Team.

APA: In „Alma“ haben Sie die Rolle Oskar Kokoschkas übernommen. Wen spielen Sie in den „letzten Tagen“?

Manker: Den Bahnhofsvorstand, den Fabrikanten und ein paar Kleinigkeiten.

APA: Ist das Kraus-Drama zeitlos aktuell oder gibt es heute eine besondere Aktualität für das Stück?

Manker: Ich fürchte, es ist leider wirklich zeitlos. Aber besonders die Rolle der Presse im Krieg ist brisant, es gibt Fake-News und schuldhafte Journalisten, manche Sätze gegen die Presse könnten wieder von Trump sein, es gibt eine Szene mit Deutschnationalen, in die wir das Wiener Neustädter Liederbuch verwoben haben. Karl Kraus nimmt eine Technik der Literatur unserer Tage vorweg. Die Montage von originalen Dokumenten, die vom Geist und Ungeist einer Zeit oft mehr verraten als jedes dichterisch überhöhte Wort. Dabei bleibt Kraus niemals in der bloßen Reportage stecken: die Steigerung der Geschehnisse zu einem Höllentanz, die Kombination und Konfrontation durch einen kommentierenden Dialog zwischen dem „Nörgler“ und dem „Optimisten“ - das ist absurdes Theater im allermodernsten Sinne, und oft erscheint dieser Vorläufer Ionescos größer als all die sogenannten Avantgardisten von heute.

APA: Sie spielen wieder in der Serbenhalle. Da hat man gerichtliche Auseinandersetzungen in Erinnerung. Ist alles kalmiert - oder war‘s Theaterdonner?

Manker: Ein gerichtlicher Vergleich hat den Kontroversen letzten Herbst ein Ende gesetzt. Wir spielen auch nächstes Jahr wieder in der Serbenhalle.

APA: Sie bekommen weder vom Land Niederösterreich noch vom Bundeskanzleramt Subventionen. Die Stadt Wiener Neustadt gibt Ihnen 728,75 Euro. Wie kam es dazu? Und wie können Sie Ihre Produktion dennoch finanzieren?

Manker: Ich finanziere durch Selbst- und Fremdausbeutung. Ich stecke eigenes Geld hinein, ich kann nur schlechte Gagen zahlen und ich habe eine ganze Reihe von Sponsoren, die uns unterstützen. Alle drei großen Wiener Theater helfen uns mit Kostümen und Requisiten aus, Wein & Co sponsert den Wein, Szigeti den Sekt, Hausbrandt den Kaffee. Und es gibt auch Geldsponsoren, was natürlich besonders kostbar ist.

Wie es zur Absage der Subventionen kam? Weder das Land NÖ gab auch nur einen Penny Subvention für „Die letzten Tage der Menschheit“ noch das Bundeskanzleramt. Und die Stadt Wiener Neustadt gibt satte 728,75 Euro bei einer Produktion, die 450.000 Euro kostet. Dies obwohl die Produktion auch ein Wirtschaftsfaktor für die Stadt sind. Es gibt an die 250 Hotelbuchungen von Übernachtungsgästen, wir beschäftigen Handwerker und Betriebe, wir kaufen Lebensmittel und Requisiten in Wiener Neustadt ein. Sie fragen, warum 728,75 Euro? Weil uns die Stadt zwar 5.000 Euro Förderung zugesagt hat, gleichzeitig aber davon die Lustbarkeitsabgabe einbehält, eine Steuer, die in keiner einzigen Gemeinde in Österreich von kulturellen Veranstaltungen oder Festivals noch einbehalten wird. Nur eben in Wiener Neustadt.

Bemerkenswert war auch die Begründung des Kulturverantwortlichen Hermann Dikowitsch in St. Pölten für die Absage des Landes NÖ: Erstens gäbe es eine (natürlich interne) Richtlinie, nach der nur eine und nicht zwei Produktionen pro Stadt gefördert werden können (ob das z.B. bei den Festspielen in Reichenau so ist, darf bezweifelt werden). Noch beachtlicher war die Erklärung, die Dikowitsch zusätzlich gab: Man wolle in Wiener Neustadt keinen weiteren Kulturstandort in Niederösterreich schaffen. Dies allen Ernstes die Worte des Leiters der Kulturabteilung von NÖ über eine Stadt, die nächstes Jahr die Landesausstellung ausrichten wird.

Und für „Alma“ hat das Bundeskanzleramt eine Förderung von 20.000 Euro abgelehnt mit der Begründung: Es könnten nur solche Projekte gefördert werden, die „innovative, zeitbezogene und experimentelle Theaterformen auszeichnen“. Dies bei einer Produktion, die vor 23 Jahren das „Simultandrama“ erfand, das seither vielfach nachgeahmt und kopiert worden ist.

APA: Sie wollen am 25. August die 500. Vorstellung von „Alma“ spielen. Wie wird das?

Manker: Das wird eine ganz große Feier mit vielen Ehrengästen, ehemaligen Darstellern unseren treuen Förderern und einem Feuerwerk. Und am Nachmittag heirate ich - in der Serbenhalle!

(Die Fragen stellte Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus, Regie: Paulus Manker, Kostüme: Aleksandra Kica, Raumkonzept: Georg Resetschnig, Sounddesign: Andreas Büchele. Serbenhalle Wiener Neustadt, Publikumseingang: Lagergasse 3 (Zufahrt über die Stadionstraße), Premiere: 14. Juli, 18 Uhr. Aufführungstermine zwischen 13. Juli bis 4. August, 18 Uhr. Laut Homepage nur noch am 27.7. sowie am 3. und 4.8. Karten zu 145 Euro erhältlich. Tickets per Mail: mailto:produktion@letztetage.com, oder via Ö-Ticket 01 / 96 0 96, www.letztetage.com)

(B I L D A V I S O – Pressebilder stehen unter http://www.letztetage.com/photos/index.html zum Download bereit.)