Wie weit liegen deutsche Koalitionspartner bei Migration auseinander?

Berlin/München (APA/dpa) - In ihrem Asylstreit erklimmen CDU und CSU täglich neue Stufen der Eskalation. Die Kontrahenten haben inzwischen v...

Berlin/München (APA/dpa) - In ihrem Asylstreit erklimmen CDU und CSU täglich neue Stufen der Eskalation. Die Kontrahenten haben inzwischen verschiedene Maßnahmenpakete vorgelegt. Das von Innenminister Horst Seehofer (CSU) war lange geheim und heißt „Masterplan Migration“. Die Vorschläge von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beschäftigen sich vor allem mit dem Außengrenzschutz und der Frage, wie man verhindern kann, dass sich Asylwerber selbst aussuchen, wo sie in Europa Asyl beantragen.

Sie tragen die Überschrift: „Mehr Ordnung und Steuerung in der Migrationspolitik“. Die SPD will nicht länger abseits stehen und legt „Fünf Punkte für eine europäische Migrations- und Flüchtlingspolitik“ vor. Darin greift sie einige Forderungen auf, die auch Seehofer stellt.

Welche Punkte in Seehofers Plan haben das größte Spalt-Potenzial?

Sein Streit mit Merkel dreht sich nur darum, wer an der deutschen Grenze abgewiesen werden darf. Das ist Punkt 27 im 63-Punkte-Plan von Seehofer. Er sieht die Zurückweisung von andernorts in der EU bereits registrierten Schutzsuchenden vor. Die Kanzlerin will nicht, dass Deutschland das ohne Vereinbarungen mit den betroffenen Staaten einfach so durchzieht. Wie viele EU-Mitglieder da mitmachen und wie belastbar die von Merkel mit ihnen bereits getroffenen Verabredungen sind, ist aber noch nicht ganz klar.

Und was ist mit der SPD?

Alle anderen Vorschläge von CSU-Chef Seehofer sind zwischen den Unionsparteien unstrittig. Das heißt aber noch lange nicht, dass der Koalitionspartner SPD bei allem mitgehen würde. Ein Beispiel: Die SPD will die Möglichkeiten der Behörden erweitern, Ausländern auf die Schliche zu kommen, die falsche Angaben zu ihrer Identität machen - etwa weil sie sich so bessere Chancen im Asylverfahren ausrechnen. Seehofer geht aber noch viel weiter. Er will beschleunigte Asylverfahren für jeden, der keine Identitätsdokumente vorlegt. Und das war in den Jahren 2016 und 2017 die Mehrheit der Antragsteller.

Hat sich die SPD denn nicht auch bewegt?

Doch, und zwar vor allem beim Thema Abschiebungen. Die SPD will - genau wie Seehofer -, dass die Behörden künftig Menschen, die „unverschuldet an der Ausreise gehindert sind“, anders behandeln als Ausreisepflichtige, die ihre Abschiebung hintertreiben. Wer zum Beispiel nicht sagt, wie er heißt und wo er herkommt, soll auch nach den Vorstellungen der SPD nicht die gleichen staatlichen Leistungen erhalten wie ein Mensch, der wegen einer ernsthaften Erkrankung länger in Deutschland bleibt - oder weil der Heimatstaat keine Papiere ausstellt. Unumstritten ist außerdem, dass Asylwerber, die wegen einer Straftat zu mindestens einem Jahr Haft verurteilt werden, das Land verlassen sollen.

Worüber könnte es sonst noch Zoff geben?

Seehofer will, dass Schutzsuchende in den ersten drei Jahren nur Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. Aktuell wechseln bekommen sie bereits nach 15 Monaten die höhere Sozialhilfe. Ob dieser Vorschlag vor dem Bundesverfassungsgericht bestehen kann, ist allerdings ungewiss. Die Richter hatten 2012 die damals bis zu einem Drittel niedrigere Sozialhilfe für Asylbewerber für verfassungswidrig erklärt. Mit den Stimmen der großen Koalition wurde 2014 eine Gesetzesnovelle verabschiedet. Sie sah unter anderem die Begrenzung auf 15 Monate vor.

Und was ist jetzt mit den Zurückweisungen?

Mehr als jeder fünfte Asylsuchende kommt als sogenannter Dublin-Fall. Das heißt, er müsste seinen Antrag auf Schutz nach den Dublin-III-Regeln eigentlich in einem anderen EU-Staat stellen. Die Rücküberstellung dieser Menschen in das Land, das für sie zuständig ist, funktioniert aber sehr schlecht. Das liegt einerseits an der Überlastung der Behörden hierzulande und Verhinderungsstrategien einzelner Asylbewerber, andererseits aber auch an Verzögerungen in Italien und anderen Staaten, in denen diese Asylbewerber zum ersten Mal nach ihrer Einreise in die EU registriert wurden. Die „Dublin-Rücküberstellungen“ aus Deutschland gelingen derzeit nur in etwa 15 Prozent der Fälle. Das bedeutet: Die Menschen bleiben dauerhaft hier. Denn wenn die Fristen überschritten werden, fällt die Zuständigkeit für das Asylverfahren automatisch an Deutschland.

Was hat das zu tun mit den Forderungen der AfD?

Die AfD findet Seehofers Vorschläge zwar grundsätzlich gut, aber nicht radikal genug. Die Rechtspopulisten wollen alle Asylwerber an der Landesgrenze abweisen. Seine humanitären Verpflichtungen sollte Deutschland ihrer Ansicht nach nur durch Hilfe im Ausland und durch die Aufnahme einiger weniger, bereits im Ausland ausgewählter Flüchtlinge erfüllen. Die AfD legt den Schwerpunkt auf Abschiebungen.

Und was mit den Grünen?

Wie die Grünen darüber denken ist relevant, weil sie theoretisch als Ersatz für die CSU in die Regierung eintreten könnten. Von ihnen ist allerdings Widerstand gegen einige Regelverschärfungen zu erwarten, die auch CDU und SPD umsetzen wollen. Dazu gehören die Einführung einer Art „Duldung light“ und die „erweiterte, sanktionsbewehrte Residenzpflicht“ für bereits in der EU registrierte Asylbewerber. Diese sollen laut Vorschlag aus dem Kanzleramt in „besonderen Aufnahmeeinrichtungen“ beschleunigte Verfahren durchlaufen.