Raphaela Edelbauer: Neue Formen des Zeitgenössischen
Heute Innsbruck, morgen zum Bachmannpreis: Raphaela Edelbauer geht als einzige österreichische Autorin ins Rennen. Ein Gespräch über das Erinnern und das Planen.
Einzige Autorin aus Österreich beim Bachmannpreis: Machen Sie sich Gedanken über diese Auswahl oder ist das bloß eine Schlagzeile?
Raphaela Edelbauer: Ich freue mich, dabei zu sein, und dass meine Taktik, ungefragt einzureichen und eingeladen zu werden, funktioniert hat. Ich merke an den Reaktionen, dass das Denken in Nationalitäten nach wie vor sehr präsent ist in den Köpfen. Ich befinde mich in einer zwiespältigen Position: Auf der einen Seite sehe ich mich als Advokatin der österreichischen Literatur, auf der anderen Seite äußere ich mich gerade in meinem Text sehr kritisch zu Österreich als Staat.
Bei Ihrem speziell für den Bachmannpreis verfassten Text geht es ums Aufarbeiten der österreichischen Vergangenheit.
Edelbauer: Ich setze mich sehr bewusst mit unaufgearbeiteten Verbrechen des Landes auseinander. Konkret geht es im Text um ein Loch, das unter einer Gemeinde klafft. Protagonist ist ein Auffüllungstechniker, der das Einsinken dieser Gemeinde in das Loch verhindern muss. In diesem Loch haben allerdings Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg Flugzeugteile zusammengeschraubt. Und diese wurden dort auch umgebracht.
Welche Rolle spielt hier das Erinnern?
Edelbauer: Ich habe mich zwei Jahre intensiv mit dem Komplex auseinandergesetzt und auch damit, dass wir gerade diese Generation sind, in der die letzten Zeitzeugen wegsterben werden. In einer gewissen Gleichzeitigkeit macht unsere Regierung das Thema wieder sehr aktuell. Für mich herrscht gerade die politische Notwendigkeit, sich mit dem Erinnern und unserer eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Der Text wurde sozusagen aus aktuellem Anlass geschrieben.
Wie schafft man es heute, zeitgenössisch zu schreiben?
Edelbauer: Ich denke, dass zeitgenössisch zu schreiben nicht nur bedeutet, thematisch auf Aktuelles zu reagieren. Zeitgenössisch schreiben kann auch in ästhetischer Hinsicht erfolgen. Man steht heute oft vor der Aussage, man könne nicht mehr innovieren, man könne keine neuen Formen mehr schaffen. Ich versuche bewusst auch formal auf Zeitgenössisches zu reagieren. So gewinnen etwa digitale Medien ständig an Bedeutung, nicht nur in der Rezeption von Kunst, sondern in unserer Wahrnehmung der Welt. Es macht ja etwas mit der Sprache, wenn wir Informationen immer in kleinen Online-Portionen erfassen anstatt in einem großen, gut ausgearbeiteten Diskurs. Das ist weder positiv noch negativ zu interpretieren – aber darauf möchte ich formal reagieren in meinen Texten.
In Ihrem Text, „Entdecker“ von 2017, der mit dem Rauriser Literaturpreis ausgezeichnet wurde, fließen Text und Bild zusammen.
Edelbauer: Das war allerdings nicht unbedingt geplant. Ich habe mich mit Simon Goritschnig, dem Grafiker, einfach gut verstanden. Die kleinen Texte sind durch die Bilder zu einem großen Ganzen zusammengeflossen. Ungeplant.
Bei der heutigen Lesung in Innsbruck wird Goritschnig mit von der Partie sein.
Edelbauer: Genau. Wir planen eine Art Assessment Center, das so genannte „Geist-Morphem-Institut“, wo wir nach neuen Mitarbeitern suchen. Es wird also eher eine multimediale Performance.
Und danach geht es direkt nach Klagenfurt weiter. Wie gehen Sie mit der omnipräsenten Aufmerksamkeit um?
Edelbauer: Einerseits brauche ich die Aufmerksamkeit als professionelle Autorin, andererseits soll es mein künstlerisches Programm nicht beeinflussen. Ich möchte vielmehr nachhaltig planen.
Es geht Ihnen auch darum, eine Tradition weiterzutreiben. In welcher sehen Sie sich verankert?
Edelbauer: Ich bin fasziniert von der Tradition der Sprachkritik in Österreich, stark beeinflusst durch Wittgenstein, sprachphilosophische Texte der Wiener Gruppe und in weiterer Folge Autoren wie Jelinek, Bernhard, Handke, Turrini. Sie alle haben die Sprache weiterentwickelt, aber auch sozialkritisch, politisch einiges in Gang gebracht. Damit kann ich mich identifizieren. Und ich glaube, es gibt aktuell wieder die Möglichkeit, in dieser Tradition weiter neu und radikal zu agieren.
Das Gespräch führte Barbara Unterthurner