„Viel Brauchbares lernt man an der Schule nicht?...“
Joe Wildanger geht mit 1. September als Direktor der NMS Lechtal in Pension. Für ihn liegt im Wort Pflichtschule auch die Pflicht der Lehrer, auf das Fortkommen „aller“ Kinder zu schauen.
Von Helmut Mittermayr
Lechtal –Wer im Zuge der Italienurlaubsvorbereitungen testen möchte, wie er sich zur nächsten Gelateria durchfragen kann, dem sei das Lechtal ans Herz gelegt. Nicht, weil es dort viele Eisläden gäbe, sondern weil ein Großteil der Bevölkerung auf Italienisch antworten könnte. Wer es zwischen Forchach und Steeg auf Englisch probiert, wird geradezu „amused“ sein, welch unglaublich hohes Sprachniveau (Cambridge Certificate) die „Natives“ sprechen. Der Grund: Praktisch 100 Prozent der Lechtaler Jugendlichen besuchen die NMS Lechtal und davon die Hälfte den Sprachenzweig. Das ist aber nur einer von vielen „Sternspritzern“, warum diese umständehalber entstandene Gesamtschule einen Ausnahmeruf genießt. 70 Prozent der Absolventen haben den ECDL-Computerführerschein in der Tasche. Sehr viele verfügen schon mit 15 Jahren über eine CAD-Ausbildung, können also rechnerunterstützt konstruieren. Nicht umsonst ist Direktor Joe Wildanger gern gesehener Gastredner an anderen Bildungsstätten unter dem Motto „Wie machen die das nur im Lechtal?“.
Nun müssen es andere machen – Wildanger (62) hat für sich nach 40 Dienstjahren, davon 19 als Direktor, entschieden, mit 1. September in Pension zu gehen. „Direktor ist man nicht, man wird es mit den Jahren. Und wenn man es dann ist, sollte man gehen“, so sein ungewöhnliches Credo. Er habe gefühlt, jetzt sei der richtige Zeitpunkt gekommen. Er sei gesund und vital und will sich künftig dem familiären Projekt Wurzelbrennerei und Heilpflanzenschule (lechmed.at) mit ganzer Kraft widmen.
Eine Pflichtschule beinhaltet für Wildanger nicht nur die Pflicht aller Kinder und Jugendlichen, diese Schule zu besuchen, sondern auch die Pflicht der Lehrer, auf alle, wirklich alle, zu schauen. Auf Behinderte, auf die besonders Guten, gerade auch auf die Verhaltensauffälligen. „Bei uns wird niemand zurückgelassen, niemand bleibt auf der Strecke“, gibt der Hägerauer die Richtung vor. Natürlich habe es Problemfälle gegeben, wenn zu Hause prekäre Verhältnisse herrschten, etwa bei überforderten Eltern. Dann habe man sich ganz besonders um diese Schüler gekümmert, mit ihnen zusätzlich gelernt. Und immer mit großer Freude gesehen, wie positiv sie sich entwickelt hätten. „Ich traue Schülern nun immer mehr zu, als es den Anschein hat. Ich bin nur positiv überrascht worden“, sagt Wildanger. Dafür brauche es natürlich ein Umfeld. Und das habe er gemeinsam mit den Lehrern und Lehrerinnen der NMS Lechtal schaffen können.
Als scheidender Pädagoge hat er auch eine Weisheit für seine Kollegen parat. „Schule ist nicht alles. Wie viele haben es im Leben zu etwas gebracht, deren Zeugnisse nicht danach ausgesehen haben.“ Schule müsse grundlegende Fertigkeiten vermitteln und die Einstellung zum Lernen, „den Rest lernt das Leben“. Er wolle Schule keineswegs verdammen, habe sie geliebt und würde in einem neuen Leben wieder Lehrer und Direktor werden wollen. Aber den Menschen fehle es bei ihren Entscheidungen oftmals an Moral und der Einstellung, nicht am Wissen. Die Schule werde vor allem von jenen überbewertet, die in ihrem eigenen Leben direkt vom Schüler- ins Lehrersein gewechselt seien. Diese würden gerne dazu neigen, das Wissen, das an einer Schule gelehrt wird, zu überhöhen. „Aber viel Brauchbares fürs Leben lernt man nicht an der Schule“, lacht er.
Die Nachfolge Joe Wildangers an der Neuen Mittelschule Lechtal ist von der Schulbehörde noch nicht geregelt, eine Inhouse-Bewerbung liegt vor.