Bulgarien feiert sich als Brückenbauer zwischen EU und Westbalkan
Sofia/Brüssel/Straßburg (APA) - „Meine Chefs sitzen in Brüssel.“ Diesen Satz wiederholt der konservative bulgarische Ministerpräsident Bojko...
Sofia/Brüssel/Straßburg (APA) - „Meine Chefs sitzen in Brüssel.“ Diesen Satz wiederholt der konservative bulgarische Ministerpräsident Bojko Borissow oft. Zu oft, finden viele Bulgaren. Sie sind grundsätzlich sehr europafreundlich - gut zwei Drittel finden den Beitritt 2007 gut, haben sich jedoch in den vergangenen sechs Monaten schon gewünscht, dass der Regierungschef der Innenpolitik mehr Bedeutung zumisst.
Borissow mag nicht unbedingt ein taktvoller Politiker sein, dafür aber einer, der genau weiß, dass die innenpolitische Lage im kleinen südosteuropäischen Land in vielerlei Hinsicht von den Brüsseler Entscheidungen abhängt. Denn alle großen Infrastrukturprojekte in Bulgarien der letzten Jahre sind nur den EU-Förderungen zu verdanken. Die Investitionen aus dem Ausland auch. Die bulgarische Landeswährung, der Lew, ist fest an den Euro gebunden, was gepaart mit der gegen Null neigenden Staatsverschuldung infolge Borissows jahrelanger Austeritätspolitik ein Gefühl wirtschaftlicher Stabilität im ärmsten EU-Land gibt.
Auch das betont der Ministerpräsident bei jeder Gelegenheit selbstzufrieden, insbesondere, wenn es um die Einführung des Euro geht. Soweit ist es noch nicht, die Gemeinschaftswährung bleibt aber ein erklärtes Ziel der konservativen Regierung in Sofia. Ein anderes ist der Beitritt zum Schengen-Raum. Beides wollte Borissow gegen eine erfolgreiche, für Bulgarien erste EU-Ratspräsidentschaft mit Brüssel aushandeln. Ob ihm das gelingt, ist noch nicht abzusehen.
Als Erfolg des Ratsvorsitzes feiert das Kabinett in Sofia ein Thema, das es sich während des ersten Halbjahres 2018 auf die Fahne geschrieben hatte: die Heranführung der sechs Westbalkanländer an die EU. „Die Sicherheit und die Stabilität in Europa sind ohne die Westbalkanländer nicht möglich“, betonte Borissow am Dienstag im Europaparlament, als er Rechenschaft über die erste bulgarische Ratspräsidentschaft ablegte.
Anfang des Jahres hätte vermutlich niemand daran gedacht, dass sich Griechenland und die ehemalige jugoslawische Teilrepublik Mazedonien nach einem über zwei Jahrzehnte währenden Namensstreit einigen werden. Ob die Republik im Norden Griechenlands bald auch offiziell „Nordmazedonien“ heißen wird, ist angesichts der Massenproteste in Thessaloniki und Athen und des bevorstehenden Referendums in Skopje zwar offen. Doch der Durchbruch im Namensstreit wurde nicht zuletzt dank der einjährigen Intervention des bulgarischen Nachbarn möglich.
Brückenbauer soll Bulgarien auch zur benachbarten Türkei sein. Viele EU-Länder beurteilen einen Beitritt der Türkei derzeit als unvorstellbar, dennoch weiß man in Brüssel sehr wohl, wie wichtig das Land für Europa ist. Der mühsam ausgehandelte Flüchtlingsdeal etwa führte zu einem Abebben der Migrantenströme nach Mitteleuropa. Als ein Land an der EU-Außengrenze bemüht sich Bulgarien seit Beginn der Flüchtlingskrise noch 2013 um gute Beziehungen zu seinem größten Nachbarland. Ministerpräsident Borissow baute mit dem autoritären türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan eine vertrauliche Beziehung auf. Viele politische Beobachter in Sofia schließen nicht aus, dass auch dies das Gipfeltreffen EU-Türkei am 26. März in Warna ermöglicht hat.
Weniger begeistert über die erste Ratspräsidentschaft Bulgariens zeigte sich jedoch Präsident Rumen Radew. Der von den oppositionellen Sozialisten unterstützte Staatschef kommentierte am Dienstag, das von der Regierung als Erfolg gefeierte Westbalkan-Thema sei zwar dauerhaft auf der Tagesordnung Bulgariens, habe es jedoch nicht darüber hinaus auf die Tagesordnung Europas geschafft. „Die Bilder vom EU-Gipfel im sonnigen Sofia werden bald verblassen“, meinte Radew, der dem Kabinett vorwirft, den Ratsvorsitz als PR-Aktion für innenpolitische Ziele missbraucht zu haben.
Während sich die konservative Regierung in Sofia intensiv um die EU-Ratspräsidentschaft gekümmert hatte, vermissten viele Bulgaren ein mindestens ebenso engagiertes Vorgehen auch in der Innenpolitik. Das Land ist nach wie vor EU-Schlusslicht in Sachen Korruptionsbekämpfung und wird in den Statistiken als „Armenhaus Europas“ ausgewiesen.
Dennoch geht der konservative Regierungschef Borissow gestärkt aus der ersten bulgarischen EU-Ratspräsidentschaft hervor. Seine extra dafür in einen Ministerposten gehobene Vertraute Liljana Pawlowa legte bereits Rechenschaft über das Erreichte ab. Die Ratsvorsitz-Ministerin betonte neben den erfolgreichen Prioritäten Bulgariens auch eine mediale Nebenwirkung, die für das Land „ausgesprochen positiv“ zu bewerten sei. „Dank unserer sechsmonatigen intensiven Arbeit hat sich das Image Bulgariens in Europa wesentlich verbessert. Die Klischees, mit welchen wir in westlichen Medien jahrelang behaftet waren, das ärmste und korrupteste Land am Rand Europas zu sein, haben einer objektiven Berichterstattung allmählich Platz gemacht. Plötzlich entdeckt man Bulgarien als ein Reiseland, als einen Investitionsstandort und als einen politischen Partner auf gleicher Augenhöhe“, kommentierte Pawlowa.
Bulgarien sei ein ehrgeiziges EU-Mitglied, das zukunftsorientierte europäische Ideen hat, resümierte die bulgarische Außenministerin Ekaterina Sachariewa. Was genau das Land als Ratsvorsitzender erreicht habe, werde man jedoch erst in Monaten beurteilen können, merkte sie an.