Fußball-WM: „Vaterfigur“ Tite soll Brasilien zur „Hexa“ führen
Sotschi (APA/dpa) - Mit dem in Europa vor der Endrunde relativ unbekannten Teamchef Tite gilt Rekordweltmeister Brasilien vor dem Viertelfin...
Sotschi (APA/dpa) - Mit dem in Europa vor der Endrunde relativ unbekannten Teamchef Tite gilt Rekordweltmeister Brasilien vor dem Viertelfinale (Freitag, 20.00 Uhr) gegen Belgien als Topfavorit auf den Titel. Dem 57-Jährigen ist das gelungen, was seine Vorgänger nicht geschafft haben: Er hat die Selecao mit neuen Methoden zu alter Stärke geführt. Bisher ist Brasilien das konstanteste Team bei dem Turnier in Russland.
Luiz Felipe Scolari, der Brasilien beim bisher letzten WM-Titel 2002 gecoacht hat, gilt als Entdecker von Tite. Der Ansatz der beiden aber könnte kaum unterschiedlicher sein. Brasilien 2018 spielt längst nicht mehr wie Brasilien 2014. als unter Scolari der Traum vom Titel beim Heimturnier nach einem 1:7 gegen Deutschland jäh platzte. Tites Team ist neben Uruguay die einzige Mannschaft bei der WM, die erst ein Gegentor kassiert hat. Wie keiner seiner Vorgänger setzt Tite auf taktische Disziplin. Egal ob Neymar, Philippe Coutinho oder Casemiro: Jedem seiner Spieler kommt in der Defensivarbeit eine klare Aufgabe zu - und jeder hält sich auch daran. Sieben Gegentore gegen Deutschland? Das wäre unter Tite kaum vorstellbar gewesen.
„Die Essenz eines großen Trainers ist es, das Beste aus seinem Team herauszuholen“, sagte Tite. „Der Trainer muss seinen Stil der Mannschaft anpassen, nicht umgekehrt.“ Tite und die Selecao passen scheinbar perfekt zueinander. Seit seinem Jobantritt im Sommer 2016 hat der Coach von 25 Partien erst eine mit den Brasilianern verloren und erst sechs Gegentore hinnehmen müssen. Aber nicht nur die taktische Disziplin ist außergewöhnlich, sondern auch sein Verhältnis zu den Spielern. Sechs der elf Stammspieler wie Thiago Silva, Paulinho oder Marcelo sind laut der Tageszeitung „El Pais“ ohne ihren Vater aufgewachsen.
Er habe vor einigen Jahren seine Karriere wegen persönlicher Probleme schon beenden wollen, schrieb Paulinho, heute Mittelfeldspieler des FC Barcelona, am Sonntag in einem Beitrag für die Internetseite Players Tribune. Dann habe er 2010 bei seinem Wechsel zu Corinthians Tite kennengelernt, der damals noch den Club aus Sao Paulo trainierte. „Ich habe dort den Mann getroffen, der mein Leben verändert hat und ein zweiter Vater für mich wurde - Professor Tite.“ Zu vielen seiner Spieler pflegt der Coach eine ähnlich enge Beziehung.
Tite versteht es scheinbar perfekt, mit den oft speziellen, aber auch sensiblen Ballkünstlern des Rekord-Weltmeisters umzugehen. Auch taktisch hat er ihr Vertrauen gewonnen. Als es in den ersten 25 Minuten des WM-Achtelfinales gegen aggressiv attackierende Mexikaner überhaupt nicht gut lief, veränderte Tite die Grundordnung seiner Mannschaft. Mexiko verlor im Pressing den Zugriff, Brasilien gewann souverän 2:0 und Tite an zusätzlichem Vertrauen.