Filmessayist des Holocaust: „Shoah“-Regisseur Claude Lanzmann ist tot
Paris/Wien (APA/dpa/AFP) - Für Claude Lanzmann war das Vergegenwärtigen der Vergangenheit stets das Ziel seiner Arbeit. Mit dem Dokumentares...
Paris/Wien (APA/dpa/AFP) - Für Claude Lanzmann war das Vergegenwärtigen der Vergangenheit stets das Ziel seiner Arbeit. Mit dem Dokumentaressay „Shoah“, in dem er über neun Stunden an den einstigen Orten des Grauens mit Zeitzeugen, aber ohne Archivmaterial eine Charakteristik des Holocausts nachzeichnete, schuf er eines der prägenden Werke der NS-Aufarbeitung. Am Donnerstag ist Lanzmann 92-jährig in Paris verstorben.
Lanzmann war stets eine bärbeißige Kämpfernatur, ein Filmemacher, der als hartnäckig, eisern und kompromisslos galt. Und genau diese Charaktereigenschaften waren es, die das Meisterwerk „Shoah“ möglich machten. Zwölf Jahre arbeitete Lanzmann an einem der radikalsten Filme über die Vernichtung europäischer Juden im Nationalsozialismus. Opfer und Täter kommen in diesem ruhigen, ohne Überwältigungsbilder arbeitenden Essay gleichermaßen zu Wort, ohne dass je die Position des Filmemachers infrage steht.
Bereits in „Warum Israel“, seinem ersten Film aus dem Jahr 1972, zeigte Lanzmann die Notwendigkeit eines jüdischen Staates auf, bevor er in „Sobibor“ den Aufstand im gleichnamigen Vernichtungslager der Nazis verarbeitete. Noch 2013 präsentierte er bei den Filmfestspiele von Cannes mit „Der Letzte der Ungerechten“ ein Werk, in dem er lange Interviews mit Benjamin Murmelstein, dem letzten Vorsitzenden des Judenrates von Theresienstadt, zu einem Plädoyer für dessen Rehabilitation vereinte. Dem mittlerweile verstorbenen Rabbiner wurde Kollaboration mit den Nazis vorgeworfen. Auch hier war die Suche nach der Wahrheit der Leitfaden für Lanzmanns Schaffen.
Mit „Napalm“ rückte er schließlich 2017 in Cannes den Koreakrieg (1950-1953) in den Fokus, bei dem US-Flieger große Mengen Napalm abwarfen. In dem Film, für den er 2004 und 2015 in das diktatorisch geführte Land unter kommunistischer Führung reiste, erinnert er sich an die Krankenschwester Kim Kum-sun, in die er sich während seines mehrwöchigen Aufenthalts im Jahr 1958 unsterblich verliebt hatte.
Geboren wurde Lanzmann am 27. November 1925 im Großraum Paris als Sohn einer Familie jüdischen Ursprungs. Bereits als Jugendlicher engagierte er sich in der kommunistischen Jugendbewegung Frankreichs und zusammen mit seinem Bruder und seiner Schwester noch als Schüler in der Resistance, der französischen Widerstandsbewegung gegen das kollaborierende Vichy-Regime. Seine Erfahrungen mit Antisemitismus hielten ihn jedoch nicht davon ab, nach dem Ende des Krieges nach Deutschland zu gehen, um dort Philosophie zu studieren. An der Freien Universität Berlin war Lanzmann auch als Lektor tätig.
Als Journalist reiste er unter anderem nach China und Korea und engagierte sich gegen den Algerienkrieg. 1960 gehörte er neben Simone de Beauvoir, Alain Resnais, Francoise Sagan und Simone Signoret zu den ersten Unterzeichnern der als „Manifest der 121“ berühmt gewordenen Schrift gegen den Algerienkrieg. Dafür musste er zusammen mit einigen anderen Unterstützern für kurze Zeit ins Gefängnis. Danach verstärkte er seinen journalistischen Einsatz gegen jede Gewalt.
Seine journalistische Arbeit war dabei immer auch philosophisch unterfüttert, war Lanzmann doch mit Jean-Paul Sartre befreundet und führte mit der Schriftstellerin und Feministin Simone de Beauvoir eine siebenjährige Beziehung. Und auch der Filmessayist betätigte sich als Autor, wobei für ihn primär sein eigenes Leben im Mittelpunkt stand, was sich am Memoirenband „Der patagonische Hase“ aus 2009 zeigte.
Zu seinem 90. Geburtstag 2015 erschien „Das Grab des göttlichen Tauchers“ auf Deutsch, dessen Titel sich auf die 1968 entdeckten griechischen Grabmalereien in der Ruinenstätte Paestum bei Neapel bezieht, die einen nackten Mann beim Sprung ins Meer zeigen. „Alle wichtigen Entscheidungen, die ich zu treffen hatte, waren wie Kopfsprünge, Sturzflüge ins Leere“, begründet Lanzmann in seinem Vorwort die Wahl des Titels. Im „Taucher“ beleuchtete Lanzmann sein Leben als „Schreiber“, wie er sich zu dieser Zeit selber nannte. Schließlich hatte Lanzmann lange als Journalist für verschiedene Medien gearbeitet, darunter auch für die von Sartre gegründete Zeitschrift „Les Temps modernes“.
Die Ehrungen für Lanzmann waren am Ende zahlreich. Für „Shoah“ erhielt er 1987 den Grimme-Preis, 2011 wurde er Großoffizier der Ehrenlegion und 2013 verlieh die Berlinale dem Filmemacher den Goldenen Ehrenbären für sein Lebenswerk.