Bachmann-Preis: Auftakt mit Auffüllungstechniker 1

Klagenfurt (APA) - Den ersten Lesetag des Wettlesens um den 42. Ingeborg-Bachmann-Preis hat am Donnerstagvormittag Raphaela Edelbauer, die e...

Klagenfurt (APA) - Den ersten Lesetag des Wettlesens um den 42. Ingeborg-Bachmann-Preis hat am Donnerstagvormittag Raphaela Edelbauer, die einzige österreichische Teilnehmerin, eröffnet. Die 28-jährige Wienerin las einen Text mit dem Titel „Das Loch“, der sich mit gefährlichen Hohlräumen unter einer österreichischen Kleinstadt beschäftigt und Geschichte und Gegenwart verbindet.

In dem Text, der sich aus Recherchen rund um die Seegrotte Hinterbrühl speist, geht es anhand eines herbeigerufenen Technikers um die Notwendigkeit, dem gefährlich instabil gewordenen Untergrund mit Materialeinspritzungen wieder Stabilität zu verleihen, aber auch um Massenmorde, die in den Höhlen und Grotten an KZ-Häftlingen in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs verübt wurden. Dieses Thema wird auch im vermutlich 2019 erscheinenden ersten Roman „Das flüssige Land“ der im Februar mit dem Rauriser Literaturpreis Ausgezeichneten im Zentrum stehen.

Die neue Jurorin Insa Wilke ergriff als Erste das Wort und gab auch gleich den Ton der Jurydiskussion vor: „Mir gefällt die Figur des Auffüllungstechnikers sehr gut“, sagte sie, doch „im Mittelteil stimmt die Statik des Textes nicht“. Auch Hildegard Keller gefiel diese Figur sehr gut, aber der Text sei ein Hybrid und der Figur zu viel aufgebürdet: „Die poetische Aufladung passt in diesen Techniker nicht rein.“ Nora Gomringer, Bachmann-Preisträgerin des Jahres 2015 und ebenfalls neu in der Jury, erregte mit ihrem Statement Gelächter: „Alle Männer sind Auffüllungstechniker.“

Auch in Edelbauers Text sei „recht viel Füllmaterial eingespritzt. (...) Da wäre weniger mehr gewesen“, kritisierte Michael Wiederstein, während Stefan Gmünder fand, die Einwände beträfen „Kleinigkeiten in einem sehr gelungenen Text“. Klaus Kastberger, der Edelbauer eingeladen hat, erhielt für seine flammende Verteidigungsrede Applaus des Publikums: Der Text sei keineswegs überladen, sondern hochpräzise. Er führe eine österreichische Tradition von Hans Lebert und Co. in sehr aktueller und dichter Form weiter. Und er erinnerte, wie sehr auch der Fall des Grubenunglücks Lassing ein Sinnbild für den Umgang mit der Wahrheit sei, die eben von verschiedener Weise angebohrt werden könnte.

Die 38-jährige Schweizerin Martina Clavadetscher, die im Vorjahr mit ihrem Roman „Knochenlieder“ für den Schweizer Buchpreis nominiert war, las einen Text mit dem Titel „Schnittmuster“. In ihm geht es um eine 92-Jährige, die im Pflegeheim soeben gestorben ist, und doch viel zu berichten hat, von ihrem schweren, auch von Gewalt geprägten Leben und vom Sterben: „Schwerstarbeit, davon kann ich euch ein Liedlein singen“, heißt es einmal, und: „Im Nachhinein ist man immer schlauer - dafür auch tot.“ Sogar im Tod arbeitet sie als Schneiderin weiter: „Niemand ahnte meine List: Ich wandelte durch meine Menschhülle, ich richtete mir in meinem Sterben ein Arbeitszimmer ein. In den Heimnächten, als alles schlief, habe ich geschuftet. Das Rattern der Maschine hörten sie als Schnarchen...“

Klaus Kastberger verlieh seinen Privatpreis für den besten ersten Satz für Clavadetschers Auftakt: „Das letzte Schnappen macht den Unterschied.“ Er zeigte sich ebenso wie Insa Wilke von der Betulichkeit des Tons irritiert, wohingegen Wilke mit Nora Gomringer einig war im Gefühl, „dass hier zwei Texte drinnenstecken“. Auch Gmünder glaubte, „dass der Text überinstrumentalisiert ist“. Hildegard E. Keller, die Clavadetscher eingeladen hatte, zeigte sich dagegen begeistert: „Da steckt noch was anderes als die klassischen Totengespräche drinnen. (...) Es ist eine Erzählung der letzten Chancen, jener zum Reden und jener auf ein anderes Körperkleid. Diese beiden letzten Chancen ergreift sie.“

Ins „Lumumbaland“ führte der er in Berlin lebende Hamburger Schauspieler, Regisseur und Autor Stephan Lohse, der auf Einladung von Hubert Winkels las, in seinem Text, der zum Abschluss der ersten Vormittags-Session die Jury fast unisono begeisterte. Die Verbindung aus Afrika und Europa, Weiß und Schwarz, betreibt längere Zeit ein Vexierspiel, bei der die Sahara nicht die Sahara ist und Lumumba nicht der historische kongolesische Politiker, der 1961 ermordet wurde, sondern ein weißer Schüler, der gleichsam eine schwarze Identität annimmt. Es verbindet sich eine Coming-of-age-Geschichte und ein Trip von der Länge eines Joints mit Kolonialgeschichte und emanzipatorischem Impetus.

Historische Belehrungen in „bildungsbürgerlichen Packages“ a la Wikipedia verbat sich Kastberger energisch, während Insa Wilke, die sich von dem „sehr gut erzählten Text“ begeistert zeigte und dessen Figuren „hinreißend“ fand, das Publikum zur Gegenprobe bat: „Können mal bitte alle, die was über Lumumba wissen, die Hand heben?“ - „Ich spüre in diesem Text die Trommeln des Aufruhrs“, ortete Stefan Gmünder. „Mir gefällt an diesem Text besonders das Lässige“, betonte Winkels. Mehrere Juroren orteten in dem Text den Beginn einer Romans, was auf Nachfrage von Hubert Winkels beim Autor keineswegs gesichert scheint. Sicher ist dagegen, dass der Weg zum Bachmann-Preis über dieses „Lumumbaland“ zu führen scheint. Klagenfurt hat einen ersten Favoriten.

(A V I SO - Die APA bietet einen Live-Blog zum Wettlesen an. Die Berichterstattung kann über den Link http://go.apa.at/l135qZRs verfolgt werden.)