„Shoah“-Regisseur Claude Lanzmann mit 92 Jahren gestorben

Paris/Wien (APA/AFP) - Mit dem Holocaustessay „Shoah“ schrieb er Filmgeschichte, nun ist der einflussreiche französische Regisseur und Journ...

Paris/Wien (APA/AFP) - Mit dem Holocaustessay „Shoah“ schrieb er Filmgeschichte, nun ist der einflussreiche französische Regisseur und Journalist Claude Lanzmann gestorben. Der Regisseur des mehrfach preisgekrönten Films von 1985 wurde 92 Jahre alt, wie sein Verlag Gallimard in Paris mitteilte. Lanzmann setzte sich Zeit seines Lebens für das Gedenken an die Opfer der Nazizeit und den Kampf gegen den Antisemitismus ein.

Die Berlinale-Jury, die Lanzmann 2013 den Goldenen Ehrenbären für sein Lebenswerk verlieh, würdigte „Shoah“ als „epochales Meisterwerk der Erinnerungskultur“. In dem mehr als neunstündigen Dokumentarfilm ließ der frühere Widerstandskämpfer Opfer wie Täter zu Wort kommen. Sein Film machte das hebräische Wort „Shoah“ (Katastrophe, Vernichtung) auch im Deutschen zum Synonym für den Völkermord an rund sechs Millionen Juden.

Der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) nannte „Shoah“ einen „Film, den viele niemals vergessen werden“. „Mit seiner Erinnerungsarbeit als Regisseur hat Claude Lanzmann Versöhnung erst möglich gemacht“, erklärte Maas auf Twitter. Ein Sprecher des israelischen Außenministeriums sagte, Lanzmanns Tod sei ein „enormer Verlust für die Menschheit“. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo würdigte Lanzmanns „unbedingten Glauben an die Fähigkeit des Menschen, Gutes zu tun“. „Claude Lanzmann hat mit seinen Bildern all denen eine Stimme gegeben, die in der Dunkelheit der Shoah in den deutschen Vernichtungslagern verstummten und ermordet worden sind. Seine Filme sind Filme gegen das Verschweigen, Verdrängen und Vergessen“, so Christoph Heubner vom Internationalen Auschwitz Komitee.

„Ich bin unbeugsam, weil ich an die Wahrheit glaube“, sagte Lanzmann im vergangenen Jahr in einem Interview mit der AFP. Auch im hohen Alter setzte er seine Arbeit unermüdlich fort, wie sein letzter Dokumentarfilm „Vier Schwestern“ zeigt, in dem er vier Frauen portriert, die den Holocaust überlebten.

Sein Verhältnis zu Deutschland nannte Lanzmann einmal „kompliziert“. Er vertrat die bei Historikern umstrittene Ansicht, dass es eine „deutsche Kollektivschuld“ gegeben habe. „Was da geschehen ist, hätte nicht geschehen können ohne einen allgemeinen Konsens der deutschen Nation“, argumentierte er 1985 in einem Interview.

Lanzmann wurde am 27. November 1925 in einer Pariser Vorstadt als Enkel von eingewanderten weißrussischen Juden geboren. Während des Zweiten Weltkriegs schloss er sich 1943 im Alter von 18 Jahren der französischen Resistance an, wie er in seiner Autobiographie „Der patagonische Hase“ von 2009 erzählte.

Nach dem Krieg setzte Lanzmann sein in Paris begonnenes Philosophiestudium in Tübingen fort. In den Jahren 1948 und 1949 war er als Lektor an der neu gegründeten Freien Universität Berlin tätig. Seit Beginn der 50er-Jahre lebte er wieder in Paris und gehörte zum Freundeskreis der Philosophen Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir.

Er gehörte zur Redaktion der von Sartre und Beauvoir gegründeten Zeitschrift „Les Temps Modernes“ (Die modernen Zeiten), die er ab 1986 leitete. In dieser Zeit hatte er auch eine von Sartre geduldete Liebesbeziehung mit Simone de Beauvoir. In den 60er-Jahren engagierte er sich nach einem Korea-Aufenthalt für den Kampf gegen den Kolonialismus.

Sein eigentliches Thema aber fand er als Filmemacher mit der Rückbesinnung auf sein Judentum und auf den Holocaust. In seinem Regiedebüt „Pourquoi Israel“ (Warum Israel) von 1973 befasste er sich mit dem Selbstverständnis des Staates. Weltweit berühmt wurde er aber mit der Dokumentation „Shoah“, für die er in zwölf Jahren 350 Interviewstunden mit Zeitzeugen aufzeichnete und die ohne Archivbilder auskam.

Später drehte er weitere Filme auf der Basis von Interviewmaterial, darunter „Sobibor“ von 2001 über einen ehemaligen Insassen des NS-Vernichtungslagers in Polen und „Der Letzte der Ungerechten“ von 2013 über den österreichischen Rabbiner Benjamin Murmelstein, der als Judenältester im Ghetto Theresienstadt mit den Nazis kollaborieren musste.

„Der Tod ist ein absoluter Skandal“, sagte Lanzmann kürzlich. „Es gibt nur das Leben.“