„Ende einer Ära“: Internationale Trauer um Claude Lanzmann
Paris/Wien (APA/dpa) - Der französische Filmemacher und Schriftsteller Claude Lanzmann ist tot. Der Regisseur des Holocaust-Zeitzeugenfilms ...
Paris/Wien (APA/dpa) - Der französische Filmemacher und Schriftsteller Claude Lanzmann ist tot. Der Regisseur des Holocaust-Zeitzeugenfilms „Shoah“ starb am Donnerstag im Alter von 92 Jahren in Paris, wie sein Verlag Gallimard mitteilte. In Österreich, Deutschland, Frankreich oder Israel wurde Lanzmann als Kämpfer gegen das Vergessen gewürdigt, der die Erinnerung an den Holocaust wachgehalten habe.
Lanzmann hatte mit der fast neunstündigen Dokumentation „Shoah“ über den Völkermord an den europäischen Juden Geschichte geschrieben. Er ließ darin Opfer und Täter zu Wort kommen und prägte mit seinem essayistischen Stil die Rezeption des Verbrechens entscheidend mit.
Entsprechend groß fiel am Donnerstag die internationale Trauer auf die Nachricht von Lanzmanns Tod aus. „Mit Lanzmanns Ableben geht der Welt einer der engagiertesten, vielseitigsten und beeindrucktesten Menschen, Künstler und Aktivisten verloren“, trauerte die Israelitische Kultusgemeinde Wiens in einer Aussendung.
Der Vorsitzende der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, Avner Shalev, erklärte: „Lanzmanns Filmkunst hat einen unauslöschlichen Eindruck in der kollektiven Erinnerung hinterlassen.“ Der Regisseur und Schriftsteller habe „bei Zuschauern verschiedener Generationen auf der ganzen Welt das Bewusstsein für den Holocaust geprägt“. Zusammen mit dem Abschied von vielen Holocaust-Überlebenden markiere sein Tod das „Ende einer Ära“.
Auch Nathan Scharanski, scheidender Vorsitzender der Jewish Agency, würdigte Lanzmanns wegweisende Rolle. Er habe „im Alleingang die Erinnerung an den Holocaust in den Herzen und Köpfen von so vielen Menschen auf der ganzen Welt wach gehalten“. Lanzmann habe mit Intelligenz und Einfühlsamkeit gezeigt, was die Shoah war, sagte der Rechtsanwalt und Nazijäger Serge Klarsfeld über den Filmemacher und Journalisten.
Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würdigte Lanzmann als „unermüdlichen Mahner gegen das Vergessen“ und erklärte: „Seine Werke sind ein immerwährender Appell an alle Nachgeborenen, dass nichts über die Freiheit und die Würde des einzelnen Menschen gestellt werden darf.“ Die deutsche Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) sagte, Lanzmann habe Maßstäbe gesetzt für die notwendige schonungslose Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen. „Als eine der letzten großen wirkmächtigen Stimmen der Zeitzeugen wird Claude Lanzmann der Welt fehlen.“
Christoph Heubner, Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, sagte: „Claude Lanzmann hat mit seinen Bildern all denen eine Stimme gegeben, die in der Dunkelheit der Shoah in den deutschen Vernichtungslagern verstummten und ermordet worden sind. Seine Filme sind Filme gegen das Verschweigen, Verdrängen und Vergessen.“ Sie seien auch historische Zeugnisse, die in der heutigen Welt dringend gebraucht würden.
„Claude Lanzmann hat Bilder gegen das Vergessen geschaffen“, schrieb die französische Kulturministerin Francoise Nyssen auf Twitter. Als „Kämpfer gegen das Vergessen“ bezeichnete ihn Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern.
Lanzmann wurde am 27. November 1925 im Großraum Paris geboren. Als Jugendlicher engagierte er sich in der kommunistischen Jugendbewegung Frankreichs, der französischen Widerstandsbewegung. Nach dem Krieg studierte er ab 1947 in Tübingen Philosophie und war Lektor an der Freien Universität Berlin. Er war einer der wenigen Franzosen, die bald nach dem Krieg nach Deutschland reisten.
Lanzmann war mit dem legendären Philosophen Jean-Paul Sartre befreundet und führte mit der Schriftstellerin und Feministin Simone de Beauvoir eine siebenjährige eheähnliche Beziehung. Er wirkte ab 1952 an der von Sartre und Beauvoir gegründeten Zeitschrift „Les Temps modernes“ mit und wurde später deren Herausgeber.
Als Journalist reiste er nach China und Korea und engagierte sich gegen den Algerienkrieg. Anfang der 70er-Jahre begann er seine Karriere als Filmschaffender. In seiner ersten Doku „Pourquoi Israel“ setzte er sich mit seiner eigenen jüdischen Identität auseinander. Nur kurze Zeit später begann er die zwölfjährige Arbeit an „Shoah“. Wie kein anderer widmete er sich fortan der Aufarbeitung der Gräuel des Nationalsozialismus. Weitere Filme wie „Sobibor“ und „Der letzte der Ungerechten“ folgten.