Merkel, Seehofer, Koalition - Die Folgen des Asylstreits
Berlin/München (APA/Reuters) - Nach Ansicht von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble standen die beiden Unions-Parteien im Asylstreit in de...
Berlin/München (APA/Reuters) - Nach Ansicht von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble standen die beiden Unions-Parteien im Asylstreit in den vergangenen Tagen „am Abgrund“. Am Montagabend einigten sich dann zunächst CDU und CSU, wie man künftig mit Zurückweisungen von Flüchtlingen an der Grenze umgehen sollte. Am Donnerstagabend folgte dann die Einigung mit der SPD. Doch auch wenn führende Politiker nun von einem Ende des Streits sprechen und mit öffentlichen Äußerungen keinen weiteren Konflikt anfachen wollen: Die Eskalation wird nach Ansicht vieler Politiker der Koalition Nachwirkungen haben - zumal CSU-Chef Horst Seehofer bereits wieder mit einem nationalen Alleingang droht.
Es bleibt also eine Dauerspannung in der Koalition. Paradoxerweise, so die Einschätzung etlicher Koalitionspolitiker, könnte dies aber die Gesetzesarbeit zunächst sogar beschleunigen. Denn jede Seite habe angesichts der drohenden Gefahr eines Bruches der Koalition Interesse daran, eigene Projekte rasch durchzubringen. Die vereinbarte „Überprüfungs-Klausel“ zur Mitte der Legislaturperiode dürfte damit dann erhöhte Bedeutung bekommen. Die Frage ist allerdings für alle drei Parteien, ob sie dann überhaupt Alternativen zur Weiterführung der Großen Koalition haben.
WAS BLEIBT AN EINIGUNG?
Genaugenommen haben sich CDU, CSU und SPD nur über den Punkt 27 eines 63 Punkte umfassenden sogenannten „Masterplans Migration“ von Innenminister Seehofer geeinigt. Die Zurückweisung von Flüchtlingen, die in anderen EU-Staaten bereits Asyl beantragt haben, betrifft nach Angaben Seehofers nur fünf Fälle pro Tag. Sehr viel größer ist aber die Zahl der in anderen Staaten Registrierten, für die künftig in sogenannten Ankerzentren ein beschleunigtes Verfahren für die Klärung gelten soll, ob die anderen EU-Staaten für mögliche Asylverfahren zuständig sind. Der CSU ging es vor allem darum, dass eine Zurückweisung nun als nationale Maßnahme möglich ist. CDU und SPD pochten unter anderem darauf, dass dies aber nur möglich ist, wenn ein Abkommen mit den jeweiligen EU-Partnern vorliegt.
Der Streit um die Migrationspolitik ist damit aber noch nicht beendet. Seehofer selbst sagte dem „Spiegel“, dass der Konflikt wieder hochkochen werde, wenn es nicht gelinge, Abkommen mit anderen EU-Staaten zu schließen. Für diesen Fall droht er erneut mit einem nationalen Alleingang bei der Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze.
ANGESCHLAGENER SEEHOFER
Innerhalb der Union gilt der 69-jährige Seehofer durch die Debatte als geschwächt. Sein zurückgezogenes Rücktrittsangebot habe die Diskussion über seine Zukunft zumindest als CSU-Chef angeheizt, sagt auch ein führender CSU-Politiker. Ein Rückzug vom Parteivorsitz wird allgemein spätestens nach der bayerischen Landtagswahl im Herbst erwartet. Malu Dreyer, SPD-Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, sagte in n-tv, Seehofer sei nun selbst in der Pflicht, Abkommen mit den EU-Partnern auszuhandeln: Dies wird angesichts der schwierigen Gespräche mit Österreich und Italien als Risiko für den Innenminister gesehen - auch wenn der Minister Kanzlerin Angela Merkel in die Mitverantwortung nehmen will.
NUR VORÜBERGEHEND GESTÄRKTE MERKEL
Die Kanzlerin und CDU-Chefin gilt als zunächst gestärkt durch den Streit. Innerhalb der CDU stand sie unter Druck, weil viele CDU-Bundestagsabgeordneten für die von der CSU geforderte härtere Haltung an der deutschen Grenze Sympathie zeigten. Aber die Heftigkeit der CSU-Angriffe hätten dann dafür gesorgt, dass sich die Reihen der CDU hinter Merkel wieder schlossen, heißt es übereinstimmend bei vielen CDU-Spitzenpolitikern.
Allerdings macht man sich in der CDU durchaus Sorgen, dass Merkels Stellung in der EU geschwächt sein könnte. Denn die CSU habe innerhalb von zwei Wochen der ganzen Welt vorgeführt, wie sie Merkel und der EU eine eigene Agenda aufdrücken kann - und droht bereits mit einer Wiederholung. Das schwäche die deutsche Position erheblich, heißt es. Und das habe in der CDU die ohnehin wabernde Debatte über eine Nachfolgeregelung für die seit 13 Jahren regierende Kanzlerin wieder angefacht.
Verhältnis CDU zur CSU
In der CDU ist von einem massiven Vertrauensverlust in die bayerische Schwesterpartei die Rede, der ein Förderprogramm für die AfD vorgeworfen wird. Sowohl mit Parteichef Seehofer, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder als auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sei man eigentlich „durch“, sagen viele CDU-Politiker - was noch zu den freundlicheren Kommentaren gehört. Vor allem Söders Absage an den „geordneten Multilateralismus“ hat bei vielen in der CDU das Mistrauen geschürt, dass die Schwesterparteien keine gemeinsame Grundpositionen etwa zu Europa mehr haben.
In vielen CDU-Landesverbänden gebe es eine Stimmung, dass man die Spaltung von der CSU hätte vollziehen sollen. Je weiter man nach Norden komme, desto stärker sei diese Stimmung, heißt es. Der Osten hätte sich dagegen im Falle einer Spaltung wohl eher bei der CSU angelehnt. CDU-Chefin Merkel lehnt auch deshalb ein Antreten der CDU bei der bayerischen Landtagswahl im Herbst ab. Beide Unions-Parteien müssen sich zusammenraufen, wenn sie ihre Machtposition behaupten wollen, lautet die Analyse sowohl in der CDU- als auch CSU-Spitze. Aber das Misstrauen bleibt, auch weil die CSU nach der Obergrenzen-Einigung das Flüchtlingsthema entgegen der Absprachen wieder hochgezogen habe, heißt es. Viele CDU-Politiker setzen darauf, dass eine CSU ohne absolute Mehrheit nach der Landtagswahl geschmeidiger werde, weil sie lernen müsse, Kompromisse zu schließen.
VERHÄLTNIS CSU ZU CDU
Die CSU fühlt sich dagegen in ihrem Kurs bestätigt - auch durch eine neue Civey-Umfrage für die „Augsburger Allgemeine“, nach der die Partei in Bayern wieder zulegen kann, nun auf 42,5 Prozent. Im Rest der Republik werde immer übersehen, dass Seehofer und Söder die Umfragewerte im Bundesgebiet herzlich egal seien, heißt es in der CSU. Für die Regionalpartei zählt nur der Wert in Bayern - und dort komme es eher gut an, dass man nun als „nationale“ Maßnahme auf Zurückweisungen verweisen könne, wie Innen-Staatssekretär Stephan Mayer betonte. Gegenüber der großen CDU müsse man eben „handfest“ auftreten, um eigene Interessen durchsetzen zu können, heißt es mit einem Achselzucken angesichts der Kritik. Dennoch zeigte die parteiinterne Kritik, dass die CSU keineswegs geschlossen ist, wenn die Situation eskaliert.
VERHÄLTNIS SPD ZU UNION
Weitere Narben dürfte der Streit im ohnehin nicht besonders euphorischen Verhältnis zwischen Union und SPD in der dritten Großen Koalition unter Merkel hinterlassen. Denn die Sozialdemokraten müssen - wie die CDU - überlegen, was es für die Zukunft heißt, wenn eine Partei schon wenige Monate nach Abschluss eines Koalitionsvertrages plötzlich Themen durchsetzen will, die man zuvor nicht hat durchsetzen können. „Tunichts & Tunichtgut: Das Duo Seehofer & Söder haben in drei rabenschwarzen Wochen den Beweis erbracht, dass die CSU eben doch nur eine Regionalpartei ist“, stichelte SPD-Vize Ralf Stegner am Freitag in einem Tweet.