Mehr als 18.500 Staatsbedienstete in Türkei per Dekret entlassen
Istanbul/Ankara (APA/dpa/Reuters/AFP) - Kurz vor einer möglichen Aufhebung des seit zwei Jahren anhaltenden Ausnahmezustands in der Türkei s...
Istanbul/Ankara (APA/dpa/Reuters/AFP) - Kurz vor einer möglichen Aufhebung des seit zwei Jahren anhaltenden Ausnahmezustands in der Türkei sind dort mehr als 18.500 Staatsbedienstete per Notstandsdekret entlassen worden. Darunter sind rund 9.000 Polizisten und mehr als 6.000 Armeeangehörige, aber auch Lehrer, Universitätsdozenten und Mitarbeiter verschiedener Ministerien.
Das geht aus dem am Sonntag im Amtsblatt veröffentlichten Dekret hervor. Insgesamt werden durch den Gesetzestext 18.632 Staatsbedienstete entlassen, darunter auch rund 1.000 Angestellte des Justizministeriums und 650 Angestellte des Bildungsministeriums. Außerdem wurden zwölf Vereine, drei Zeitungen und ein Fernsehsender geschlossen.
Grund für die Maßnahme seien mutmaßliche Verbindungen zu Terrororganisationen oder Aktivitäten gegen die Staatssicherheit. Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu handelte es sich um das letzte Dekret vor der erwarteten Aufhebung des Ausnahmezustands, der seit fast zwei Jahren andauert. Noch-Ministerpräsident Binali Yildirim hatte angedeutet, dass der Notstand an diesem Montag aufgehoben werden könnte. Regulär würde er erst am 19. Juli auslaufen.
Am Montag soll Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan vereidigt werden, der vor zwei Wochen wiedergewählt wurde und künftig zugleich Staats- und Regierungschef ist. Das neue Parlament nahm seine Arbeit schon am Samstag auf.
Erdogan hatte den Ausnahmezustand nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 erlassen, für den er die Bewegung um den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen verantwortlich macht. Unter dem Notstand kann Erdogan per Dekret regieren und Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit sind eingeschränkt.
Nach Angaben des UNO-Menschenrechtsbüros vom März wurden seit Juli 2016 etwa 160.000 Staatsbedienstete ihrer Posten enthoben. Mehr als 50.000 von ihnen wurden angeklagt und befanden sich während ihrer Gerichtsverfahren in Haft. Zudem wurden mehr als 70.000 Menschen inhaftiert und zahlreiche Medien und Vereine geschlossen. Das Vorgehen der türkischen Behörden hat international scharfe Kritik ausgelöst. Seine Gegner werfen Erdogan vor, auf diese Weise Kritiker aus dem Weg zu räumen. Die Türkei erklärt dagegen, das Vorgehen sei nötig, um Gefahren für die nationale Sicherheit zu verhindern.
Unter den Zeitungen, die mit dem neuen Dekret ihre Veröffentlichung einstellen müssen, ist die pro-kurdische „Özgürlükcü Demokrasi“. Bereits im März hatte die türkische Polizei eine Razzia in der Istanbuler Redaktion durchgeführt. Die Zeitung ist das Nachfolgeblatt der pro-kurdischen Zeitung „Özgür Gündem“, die Erdogan zuvor per Notstandsdekret hatte schließen lassen. Nach Anadolu-Angaben wurden mit dem neuen Dekret zudem 148 zuvor entlassene Staatsbedienstete wieder eingestellt.
Der frühere deutsche Grünen-Chef Cem Özdemir kritisierte am Sonntag: „Erdogan macht da weiter, wo er vor der Wahl aufgehört hat: Er baut Demokratie und Rechtsstaat ab“, sagte Özdemir auf Twitter.
Erdogan hatte am 24. Juni die Präsidentenwahl mit 52,59 Prozent der Stimmen gewonnen. Bei der Parlamentswahl, die gleichzeitig stattfand, erhielt Erdogans islamisch-konservative AKP 295 Sitze im Parlament. In der Wahlallianz mit der ultranationalistischen MHP erreicht sie eine absolute Mehrheit von 344 Sitzen. Für die stärkste Oppositionspartei CHP sitzen 146 Abgeordnete im Parlament.
Die neuen Abgeordneten in der türkischen Nationalversammlung legten am Samstag ihren Amtseid ab. Ihre Zahl wurde als Folge der Verfassungsänderung nach dem Referendum vom April 2017 von bisher 550 auf 600 erhöht. Die Türken hatten in dem umstrittenen Referendum mit knapper Mehrheit für die Einführung eines Präsidialsystems gestimmt.
Im neuen System hat Erdogan deutlich mehr Macht. Er ist zugleich Staats- und Regierungschef und kann Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen. Das Amt des Ministerpräsidenten wird abgeschafft. Nach seiner Vereidigung am Montag will Erdogan sein neues Kabinett vorstellen.