Massaker Hutus-Tutsis in Burundi harren noch der Aufarbeitung
Bujumbura (APA) - Adele Honyoredako wurde die Hand abgehackt, ihr Kind, das sie auf dem Rücken trug, wurde mit der Machete getötet. Ein Lehr...
Bujumbura (APA) - Adele Honyoredako wurde die Hand abgehackt, ihr Kind, das sie auf dem Rücken trug, wurde mit der Machete getötet. Ein Lehrer sperrte Schüler in der Klasse ein und zündete das Haus an, alle verbrannten. Pater Alphonse Ndabiseruye wurde von Kugeln durchsiebt, er überlebte. Burundi hatte in den 90er Jahren keinen Völkermord wie das Nachbarland Ruanda, dennoch starben bei Massakern Hunderttausende.
Wie in Ruanda hat aber auch Burundi eine Mehrheit der Hutus (circa 84 Prozent) und die Tutsis (circa 14 Prozent) als seine beiden Haupt-Volksgruppen. Seit der Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Belgien 1962 schwelt ein Bürgerkrieg zwischen ihnen. Er eskalierte zwei Mal brutal: Anfang der 70er Jahre, als sich die Hutus gegen die Tutsis auflehnten, und 1993, als der erste Hutu-Präsident Melchior Ndadaye kurz nach dem Amtsantritt ermordet wurde.
Die Tutsis - meist Viehzüchter - waren von der Kolonialmacht u.a. bei der Bildung bevorzugt worden und bildeten die Eliten, hielten die meiste Macht im Staat in Händen. Als sie die Unabhängigkeitsbewegung vorantrieben, schwenkten die Belgier zur Unterstützung der Hutus - meist Bauern - um. Hier liegt der Konflikt begraben, der Burundi seither heimsucht. Anfang der 70er Jahre schlug die Staatsmacht der Tutsi den Aufstand der Hutu nieder: 250.000 wurden ermordet. Später wurden die Hutus in Regierung und Behörden integriert, aber es kam noch schlimmer.
Als die Hutus unmittelbar Rache wegen des Attentats an „ihrem“ Präsidenten Ndadaye am 21. Oktober 1993 nahmen und die Tutsis kollektiv verantwortlich machten, war auch Adele Honyoredako am eigenen Leib betroffen. Damals war sie 30, hatte zwei Kinder. Die Hutus in Giheta, dem Dorf in dem sie lebte, sammelten die lokalen Tutsis zusammen und sperrten sie in einem Haus ein, Adeles Mann war damals gerade nicht da. In der Nacht mussten die Eingesperrten einzeln unter den Rufen „Gebt uns unseren Präsidenten wieder, ihr habt unseren Präsidenten getötet!“ das Haus verlassen, schildert die heute 55-Jährige. Draußen vor der Tür töteten die fanatischen Zivilisten ihre Nachbarn, mit denen sie bisher eine Wasserquelle geteilt hatten mit Macheten. Adele überlebte nur, weil sie für tot gehalten wurde - als einzige von rund 20 Tutsis in Giheta. Soldaten, die kamen, um dem Morden ein Ende zu setzen, halfen ihr aus einem Massengrab, in das sie schwer verletzt geworfen worden war.
300.000 Menschen starben in jener Zeit gewaltsam. An das Flammenmassaker, das ein Lehrer an seinen Schülern verübte, erinnert heute noch ein Denkmal mit der Aufschrift „Nie Wieder!“ an der Straße zwischen der Hauptstadt Bujumbura nahe dem Ort der Gräueltat in der Provinz Gitega. „Immer wenn es Spannungen gibt, kommt dieser Gedanke von den Ethnien zurück“, beklagt der katholische Pater Alphonse. Er selbst wurde 1993 Opfer der unbändigen Wut. Tutsi-Milizen beschossen das Auto, in dem der Priester mit drei Kollegen und einer Nonne saß. Alle Insassen wurden verletzt. Alphonse allein trug 23 Schusswunden davon. Der heutige Caritas-Direktor von Bujumbura wurde später in Deutschland behandelt und studierte in Bonn und Freiburg Theologie. Noch immer aber trägt er über 100 Munitionssplitter im Körper.
Während im Nachbarstaat Ruanda nach dem Völkermord von 1994 an den Tutsis und gemäßigten Hutus auch von Regierungsseite groß angelegte Vergangenheitsbewältigung betrieben wurde, ist das in Burundi nicht der Fall. So gibt es in der ruandischen Hauptstadt Kigali ein Völkermordmuseum. An der Gedenkstätte sind mit rund 250.000 Toten rund ein Viertel der Opfer bestattet. Zusätzlich wird dort geforscht. Kaum einer in Ruanda hat nicht zumindest einen Angehörigen, der während des Völkermordes umkam. Damals kam es zu einem Aufschrei der internationalen Gemeinschaft. Seither flossen die Gelder zahlreicher Hilfsorganisationen in das Land in Zentral-Ostafrika, damit so etwas nicht wieder passiert. Die Mittel wurden zur positiven Entwicklung eingesetzt.
Bei Burundi war das nicht der Fall. Die katholische Kirche gilt als einzige öffentliche Einrichtung, die das Thema Versöhnung anspricht. So unterstützt die Caritas Österreich in Burundi ein Entwicklungshilfeprojekt, bei dem Ziegen an Frauen vergeben werden - für Milch, Düngerproduktion, Fleisch und Vermehrung. Den Empfängerinnen wird aber eine Auflage mitgegeben: Das erste Zicklein, das geboren wird, müssen sie an eine Frau der anderen Volksgruppe weitergeben. Bekommt also eine Hutu-Frau eine Ziege von der Caritas, muss sie das Erstgeborene an eine Frau aus den Reihen der Tutsis verschenken und umgekehrt.
Pater Alphonse und Adele Honyoredako haben den Tätern von damals auf persönlicher Ebene verziehen. Jahre später haben sie ihre Peiniger sogar getroffen. Beobachter fürchten aber, dass der Konflikt zwischen den Volksgruppen, der in Burundi immer wieder aufkeimt, im Gegensatz zu Ruanda erneut blutig werden könnte. Neben der mangelnden Aufarbeitung sind ihnen die große Armut und die autoritäre Regierungsführung Anlass zur Sorge. Präsident Pierre Nkurunziza hat in den letzten Jahren Unruhen unterdrückt, um - nicht untypisch für diesen Teil Afrikas - eine neue Verfassung durchzusetzen, die ihm die Macht für weitere Jahre sichert. Die meisten ausländischen Geldgeber, darunter die EU, zogen sich daraufhin aus Burundi ganz oder teilweise zurück. Das Staatsbudget, das zu 60 Prozent aus Entwicklungshilfe gespeist wurde, schrumpfte stark. Nkurunziza hat jegliche Opposition mundtot gemacht. Sollten Anti-Regierungsproteste aber wieder aufflammen wie 2015, könnte der Staatschef einen erneuten Konflikt zwischen den Volksgruppen provozieren, um von der Misere im Land abzulenken und sein Regime zu erhalten. Laut den Beobachtern hat der Hutu in den vergangenen Jahren Schritte gesetzt, um etwa die Zahl der Hutus an höherer Stelle im Militär zu erhöhen.
Im Zusammenleben zwischen Hutus und Tutsis gibt es laut Pater Alphonse derzeit keine Probleme. Man wisse vom Aussehen ungefähr, wer Hutu und wer Tutsi ist, darüber gesprochen werde aber nicht. Mischehen seien zugleich eher selten und würden oft gegen den Willen der Familien geschehen. Das „Problem ist mehr politisch als ethnisch“, meint er und deutet damit eine mögliche Instrumentalisierung der Vergangenheit an. Sich an einem neuen Töten zu beteiligen, wäre für den Kirchenmann undenkbar, für die Tutsi Adele Honyoredako, die mit einem Socken über den Stumpf an ihrem Arm lebt, wäre es zumindest paradox: Hutus ermordeten bei den Massakern 1993 ihr kleines Kind, Hutus retteten ihr anderes Kind, indem sie es versteckten.
(B I L D A V I S O - Bilder sind im AOM (23.6. 2018) abrufbar.)
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