Welt aus Sprache: „Die Frau auf meiner Schulter“ von Andrea Winkler

Wien (APA) - Es gibt Bücher, die packen einen vom ersten Augenblick. Es gibt Bücher, die öffnen sich einem erst ganz langsam, doch sie lasse...

Wien (APA) - Es gibt Bücher, die packen einen vom ersten Augenblick. Es gibt Bücher, die öffnen sich einem erst ganz langsam, doch sie lassen sich, ein wenig Ausdauer und viel guten Willen vorausgesetzt, erobern. Und es gibt Bücher, die bleiben einem fremd, sie deuten in Momenten ihren Zauber an, geben ihr Geheimnis aber nicht preis. Ein solches Buch ist „Die Frau auf meiner Schulter“ von Andrea Winkler.

Die in Wien lebende Oberösterreicherin hat nie um die Gunst der Leser gebuhlt, sie aber nicht selten dennoch erhalten. Sie eröffne „Räume für das Ich, das sich seine eigene Wirklichkeit mittels eindringlicher poetischer Bilder erfindet“, befanden 2010 die Juroren des Reinhard-Priessnitz-Preises. Mit ihrem im „Institut für Gedankenkunde und Verstehen“ spielenden „Einbildungsroman“ „König, Hofnarr und Volk“ hielt sie sich 2013 lange an der Spitze der ORF-Bestenliste.

Paradigmatisch für die Rezeption Winklers darf aber die Jury-Diskussion beim Bachmann-Preis 2009 gelten: von Lob für Poesie und Musikalität bis zu glattem Unverständnis reichten die Befunde, die man ohne Schwierigkeiten auf den neuen Roman übertragen kann. Denn konsequent ist die 1972 in Freistadt geborene Autorin. Auch die Welt, die sie in „Die Frau auf meiner Schulter“ zeichnet, ist weniger abgebildet als erfunden. Winkler setzt in ihr eigene Prioritäten und leistet sich Abschweifungen, ohne dass der Kern deutlich herausgearbeitet würde.

Ein paar Schauplätze, Figuren und Leitmotive lassen sich herausfiltern. Der tagebuchartige Text, dessen Einträge von 3. Jänner bis 17. Juli reichen, wird offenbar von einer jüngeren Frau verfasst, die sich in ein ihr zur Verfügung gestelltes altes Haus in einem an einer Nebenbahn liegenden Dorf zurückgezogen hat. Es ist Auszeit und Einkehr in einem. Träume offenbaren Schrecken aus der Vergangenheit, die weiterarbeiten, Briefe spannen zarte Fäden zu einstigen Beziehungsnetzen, Begegnungen lassen neue Freundschaften entstehen. Eine Sängerin sucht dringend jemanden zum Heiraten zwecks Aufenthaltsbewilligung. Eine arbeitslose Schauspielerin sucht ein neues Engagement und probt ein skurriles Stück, dessen Kernsätze „Bananen! Schamanen! Hörst du mich? Hörst du mich?“ lauten. Tagebuch-Schreiberin Martha sucht nichts - außer Abstand.

Was hier im Verborgenen schlummert, wird nie ganz klar. Und auch nicht, ob uns das irgendwie weiterbringen würde. Ob es nicht vielmehr um ein Treibenlassen geht, ein sprachliches, gedankliches Gegengewicht zu dem, was Martha offenbar hierher getrieben hat, und nun eben draußen bleiben soll, in dieser Welt aus Sprache. Sie ist fragil wie der Papiersessel, der an Marthas Esstisch als Platzhalter für das Unerwartete fungiert, flüchtig wie ihre Begegnungen mit skurrilen Menschen und ihren absurden Ritualen. „Die Frau auf meiner Schulter“ lässt immer wieder an Gert Jonke denken, bei mancher Passage wird man auch an Peter Handke erinnert. Doch statt einen Versuch über den geglückten Tag hat Andrea Winkler einen Versuch über den geglückten Rückzug geschrieben, einen Selbstversuch über eine Selbstfindung. Was sie dabei gefunden hat? Literatur. Dem einen mag das zu wenig sein. Dem anderen jedoch mehr als genug.

(S E R V I C E - Andrea Winkler: „Die Frau auf meiner Schulter“, Zsolnay Verlag, 192 Seiten, 21,60 Euro)