Ausgefuchster Juncker wickelte Trump um den Finger
Der EU-Kommissionspräsident hat in Washington erreicht, was ihm kaum jemand zugetraut hätte. Am Ende sprach Trump sogar von „Liebe“ zwischen der EU und den USA und postete dazu ein Foto, auf dem Juncker ihn auf die Wange küsst.
Brüssel – Am Ende tweetet Donald Trump sogar ein Bild mit Jean-Claude Juncker, der ihm in enger Umarmung einen Kuss auf die Wange drückt. Mit dem Durchbruch im Handelskonflikt hat der 63-jährige Luxemburger etwas geschafft, was keiner vor seiner Washington-Visite erwartet hatte: Er hat Trump an den Verhandlungstisch gebracht und die Gefahr von Autozöllen und eines Handelskriegs zwischen Europa und den USA zumindest vorläufig gebannt. Wie hat er das geschafft?
Juncker steht seit Ende 2014 an der Spitze der EU-Kommission. Davor war er 20 Jahre lang Luxemburgs Finanzminister und neun Jahre Ministerpräsident. Von 2004 bis 2013 leitete er auch die Eurogruppe, in der sich die Finanzminister der Währungsunion treffen. Bei der Europawahl 2014 wurde Juncker dann „Spitzenkandidat“ der Konservativen und konnte sich damit das Amt des Kommissionspräsidenten sichern.
Über EU-Linie hinweggesetzt
An der Spitze der Mega-Behörde mit 32.000 Mitarbeitern sah sich der ausgefuchste Europa-Veteran von Anfang an nicht nur als Erfüllungsgehilfe seiner Ex-Kollegen unter den EU-Staats- und Regierungschef. Er betrachtet sich bis heute als Spitzenvertreter einer „politischen Kommission“ mit eigener Gestaltungshoheit.
Die nutzte er nun auch offenbar in den dreieinhalb Stunden Gesprächen mit Trump. Er setzte sich über die bisherige EU-Linie hinweg, „nicht mit der Pistole auf der Brust“ in Verhandlungen zu gehen. Denn Vorbedingung war für die Europäer seit Wochen eigentlich, dass erst die US-Strafzölle auf Stahl und Aluminium aufgehoben werden müssen.
Trump findet Gefallen am leutseligen Luxemburger
Umarmungen, Schulterklopfen oder ein dicker Kuss gehören zu Junckers Markenzeichen. Ungarns umstrittenen Regierungschef Viktor Orban begrüßt der Sohn eines Stahlarbeiters schon mal frech mit „Hallo Diktator“. Nachdem er jüngst beim NATO-Gipfel wegen sichtlicher Gehprobleme von Regierungschefs gestützt werden musste, wies er Mutmaßungen eines übermäßigen Alkoholgenusses als „Kleinkram“ zurück und machte sein langjähriges Rückenleiden verantwortlich.
Trump scheint der leutselige Vollblutpolitiker Juncker zu gefallen. „Es herrschte große Wärme und Gefühl im Raum“, schrieb er auf Twitter zur Verhandlungsatmosphäre. „Überraschend“ gut kämen beide miteinander aus, sagte Juncker nach dem Durchbruch der Website Politico. Trump schätze es, „dass ich ihn bei den G-7-Treffen zweimal herausgefordert habe, hart in der Sache, aber höflich im Ton. Er mag Leute nicht, die um den heißen Brei herumreden.“
Trump jubelt über Sojabohnen-Deal
Die Handschrift Junckers trägt auch der Deal zu Sojabohnen. „Sofort“ würden die Europäer nun den US-Farmern ihre Sojabohnen abkaufen, jubelte Trump, der in der eigenen Partei inzwischen massiv unter Druck steht. Denn durch seine kompromisslose Linie im Handelsstreit mit China hat er vor den Halbzeitwahlen zum US-Kongress im November den für die Republikaner wichtigen Bauern einen wichtigen Exportmarkt kaputt gemacht hat. Der Soja-Deal war deshalb das, was Trump innenpolitisch am meisten brauchte.
Anders als die schon vom EU-Gipfel im Mai angebotenen Zugeständnisse bei Flüssiggas waren die Sojabohnen offenbar nicht mit den europäischen Regierungen abgesprochen. Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire forderte am Donnerstag umgehend „Klarstellungen“. Agrarfragen müssten „außerhalb des Diskussionsrahmens“ der Handelsgespräche bleiben, forderte er. Und auch ein umfassendes Freihandelsabkommen mit den USA a la TTIP lehne Paris weiter ab.
„Offensichtlich lieben sich die Europäische Union (...) und die Vereinigten Staaten (...)“, schrieb Trump am Mittwoch noch beseelt unter das Kussfoto mit Juncker. Die kalte Dusche aus Frankreich könnte Junckers schönen Deal aber schnell wieder kaputt machen und den unsteten Trump zurück auf den Strafzoll-Kriegspfad treiben. Der Kommissionspräsident muss deshalb nun zuhause kräftig Überzeugungsarbeit leisten. (TT.com, APA/AFP)