Justiz und Kriminalität

Slowakei: Sechs Monate nach Journalistenmord noch keine Spur

Der 27-jährige Kuciak hatte wiederholt Fälle von Korruption und mutmaßlichem Steuerbetrug aufgedeckt.
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Die Ermittlungen nach dem grausamen Mord an dem Journalisten Jan Kuciak und seiner Freundin laufen immer noch auf Hochtouren, Hinweise auf den Täter sind aber nach wie vor rar gesät.

Bratislava – Seit einem halben Jahr traumatisiert der brutale Doppelmord am Investigativ-Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova die Slowakei. Die letzten veröffentlichten Recherchen des Aufdeckreporters hatten ein politisches Erdbeben zu Folge, Täter und Auftraggeber bleiben aber auch nach sechsmonatigen Ermittlungen unbekannt.

Die restriktive Informationspolitik der zuständigen Behörden sorgt unterdessen für zunehmenden Unmut, viele glauben nicht mehr an eine Aufklärung. In der Brezova-Straße in Velka Maca, rund 60 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Bratislava, sind vor einem schlichten kleinen Haus immer noch Kerzen zu sehen. Blumen und Kränze säumen Tor und Zaun, auf dem weiterhin ein Foto des jungen Paares hängt. Hier wurden der erst 27-jährige Aufdeckreporter und seine gleichaltrige Partnerin am 25. Februar von der Polizei tot aufgefunden. Unbekannte hatten sie im Stil einer Hinrichtung erschossen.

Ein Lichtermeer für Jan Kuciak und Martina Kusnirova in Bratislava: Der Mord an dem Journalisten und seiner Freundin bestürzt Menschen weit über die Landesgrenzen hinaus.
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Sechs Monate danach kommen, auch von außerhalb, immer noch Menschen, um der Opfer zu gedenken, erklärte Bürgermeister Stefan Lancz gegenüber der APA. Angst hätten die Anrainer aber keine. Für sie stand von Anfang an fest, dass der Mord nur mit der Arbeit des Journalisten zusammenhängen könne. Es herrsche aber viel Skepsis. „Wenn wir auch jetzt, ein halbes Jahr danach, eigentlich nicht mehr wissen, als schon in der ersten Woche feststand, bin ich wirklich nicht sicher, ob es noch je zur allgemeinen Zufriedenheit aufgeklärt wird“, sagte er. Wenn ein derartiges Polizeiaufgebot nach Monaten zu keinem Ergebnis führt, sei das doch schon eigenartig.

Auftragsmord gilt als wahrscheinlich

Skeptisch ist man nicht nur in Velka Maca. Auf einer einzigen Pressekonferenz Ende März hatte die Spezial-Staatsanwaltschaft, zuständig für besonders schwerwiegende Fälle, zuletzt über Einzelheiten im Mordfall Kuciak berichtet. Dies sei eine „Sonder-Reaktion“ auf Forderungen der Öffentlichkeit nach Informationen, stellte ein Staatsanwalt, der seinen Namen nicht veröffentlichen wollten, gleich am Anfang klar. Zumindest bestätigte er, die Opfer seien noch am 21. Februar erschossen worden, gefunden wurden sie erst vier Tage danach.

Es sei aber gelungen, die Bewegung des Täters im Dorf zu „dokumentieren“. Im Haus seien keinerlei Kampfspuren gefunden und nichts entwendet worden – was einen Auftragsmord nahe legen würde. Weiteres könne man nicht veröffentlichen, da dies die „Ermittlungen und Beweisaufnahme vor Gericht negativ beeinflussen könnte,“ hieß es.

Demonstranten halten nach dem Journalistenmord Plakate der Minister hoch und fordern sie zum Rücktritt auf.
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Die Vermutung, der Mord hänge mit der journalistischen Arbeit von Jan Kuciak zusammen, äußerte der damalige Polizeipräsident Tibor Gaspar allerdings schon wenige Stunden, nachdem die Opfer gefunden wurden. In der Slowakei sorgte dies für einen Schock. In seinem letzten, unvollendeten Artikel hatte Jan Kuciak über Machenschaften Mafia-naher italienischer Geschäftsleute in der Ostslowakei geschrieben, die Verbindungen bis in höchste Kreise der Regierung von Robert Fico aufgebaut hatten.

„Mafia-Zustände“ im Land

Die Enthüllungen führten zu den größten Massenprotesten in der Slowakei seit der Wende 1989; Blitzartige politische Konsequenzen waren die Folge: Mitte März trat der langjährige sozialdemokratische Ministerpräsident Fico mit seiner Regierung zurück. Einen Monat nach dem Mord wurde ein Nachfolgekabinett unter dem Sozialdemokraten Peter Pellegrini ernannt, das inzwischen allerdings ebenfalls auf wackeligen Beinen steht. Ende Mai musste letztlich auch Polizeipräsident Gaspar gehen, die letzte Symbolfigur für „Mafia-Zustände“ im Land. Seinen Rücktritt hatten die Protestierenden ebenfalls gefordert.

Auch nach dem politischen Erdbeben halten Polizei und Staatsanwaltschaft strikt an ihrer Schweige-Taktik fest. „Mir ist klar, für die Menschen, für die Öffentlichkeit ist es traumatisierend, dass sie keine Informationen bekommen,“ erklärte der neue Polizeipräsident Milan Lucansky Ende Juli. Man wolle Tätern und Auftraggebern, die ja weiter auf freiem Fuß sind, aber nicht die „Richtung zeigen“, die die Ermittler verfolgen.

Teils sei diese Taktik ja verständlich, meinte der Journalist Marek Vagovic, ein Kollege von Jan Kuciak beim Nachrichtenportal Aktuality.sk. In Nachbarländern sei es aber üblich, zumindest teilweise auch über „lebendige Fälle“ zu informieren. „Bei uns ist es eben gängige Praxis, lieber nichts zu sagen und sich hinter Phrasen über eine Gefährdung der Ermittlungen zu verstecken. Das ist nicht gut“, so der Reporter; vor allem bei einem so heiklen Fall – und auch die Familien der Opfer hätten ja einige Informationen verdient.

Fortschritte bei den Ermittlungen

Dabei gebe es in den Ermittlungen durchaus Fortschritte, meinte Vagovic mit Hinweis auf seine Kontakte zu Ermittlern. Es gebe sogar eine Ermittlungsversion, der sich das Ermittlerteam inzwischen immer mehr zuneigt. Gleicher Ansicht ist auch der Rechtsvertreter der Familie Kuciak, Daniel Lipsic. Nahezu jeden Tag kommen die Ermittlungen voran, erklärte er im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. „In diesem Fall gibt es sichtlich auch den Verdacht auf einen oder mehrere Auftraggeber. Und die Ermittlungen zielen jetzt natürlich auf deren Identifizierung,“ konkretisierte er.

Dennoch wird die Öffentlichkeit von zuständigen Behörden seit Monaten in Unwissenheit gehalten. Neue Skandale beginnen den Mordfall Kuciak zu überdecken und Politiker beginnen erneut in gewohnte Fußstapfen zu treten, sieht auch Marek Vagovic. „Sie haben das Gefühl, das Schlimmste überstanden zu haben.“ Das sei aber eine Fehlkalkulation, die Geduld der Menschen lässt sich ja nicht ewig lang strapazieren. „Dass sie nur nicht überrascht sind, wenn im Herbst, nach der Sommerpause, erneut 50.000 Menschen auf die Straßen gehen“, warnte der Journalist. (APA)