Neue Proteste in Chemnitz mit Tausenden Teilnehmern

Chemnitz/Berlin (APA/dpa) - Nach den Demonstrationen mit rund 11.000 Teilnehmern verschiedener Lager in der deutschen Stadt Chemnitz hat Auß...

Chemnitz/Berlin (APA/dpa) - Nach den Demonstrationen mit rund 11.000 Teilnehmern verschiedener Lager in der deutschen Stadt Chemnitz hat Außenminister Heiko Maas die Bürger eindringlich zu mehr Einsatz gegen Rassismus aufgerufen. Rund eine Woche nach den tödlichen Messerstichen und den folgenden ausländerfeindlichen Ausschreitungen zogen laut Polizei am Samstag rund 8.000 Rechte und 3.000 Gegendemonstranten durch die Stadt.

Zunächst war noch von 4.500 beziehungsweise 4.000 Teilnehmern die Rede gewesen. Am morgigen Montag erwartet Chemnitz ein großes Gratiskonzert gegen Rassismus mit prominenter Besetzung.

Am 26. August war ein 35-jähriger Deutscher bei einer Messerattacke in Chemnitz getötet worden, zwei weitere wurden verletzt. Als Tatverdächtige sitzen ein Iraker und ein Syrer in Untersuchungshaft. Danach kam es zu Demonstrationen in der Stadt, an denen sich gewaltbereite Rechtsextreme beteiligten. Dabei gab es auch Angriffe auf Ausländer. Am vergangenen Montagabend standen dann 6.000 Demonstranten aus dem eher rechten Spektrum, darunter gewaltbereite Neonazis und Hooligans, etwa 1.500 Gegendemonstranten gegenüber.

Am Samstag waren nun 1.800 Beamte im Einsatz. Die sächsischen Beamten wurden von Kollegen aus mehreren deutschen Bundesländern und der Bundespolizei unterstützt. Am Sonntag sprach die Polizei in ihrer Bilanz von 18 Verletzten, darunter drei Polizisten. Zudem wurden mindestens 37 Straftaten verzeichnet. Bei den Straftaten handelte es sich um Fälle von Sachbeschädigung, Körperverletzung, Widerstand gegen Beamte und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.

Die rechtspopulistische AfD und das ausländerfeindliche Bündnis Pegida veranstalteten einen gemeinsamen Marsch, dem sich auch Demonstranten der rechtspopulistischen Bürgerbewegung Pro Chemnitz anschlossen. Insgesamt sprach die Polizei am Sonntag von 8.000 Teilnehmern. Dagegen reduzierte sie die Zahl der Teilnehmer an der Gegendemonstration auf 3.000. Daran nahmen auch Landes- auch Bundespolitiker teil, darunter SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, und Grünen-Chefin Annalena Baerbock.

Abseits der Demonstrationen wurde ein 20-jähriger Afghane von vier Vermummten geschlagen und leicht verletzt. Die Chemnitzer Polizei geht ferner der Anzeige eines MDR-Teams zu einem Vorfall in einer Privatwohnung am Rande der Demonstrationen nach. Der Sender sprach von einer „Attacke“ und einem Angriff auf zwei erfahrene Reporter, wobei einer verletzt wurde.

Ermittelt wird auch im Fall einer Attacke auf eine Gruppe der SPD Marburg, wie die Polizei mitteilte. SPD-Bundestagsfraktionsvize Sören Bartol berichtete auf Twitter, seine Gruppe sei „auf dem Weg zum Bus von Nazis überfallen“ worden. Die Polizei sei schnell da gewesen und habe die Gruppe zum Bus begleitet. Bartol selbst war nach eigenen Angaben nicht mehr dabei.

Die Vorfälle in Chemnitz haben die Debatte über Zivilcourage und eine mögliche Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz neu entfacht. „Es hat sich in unserer Gesellschaft leider eine Bequemlichkeit breit gemacht, die wir überwinden müssen“, sagte der deutsche Außenminister Maas der „Bild am Sonntag“. „Da müssen wir dann auch mal vom Sofa hochkommen und den Mund aufmachen. Die Jahre des diskursiven Wachkomas müssen ein Ende haben.“

Nachdem in Chemnitz AfD und die fremdenfeindliche Pegida-Bewegung gemeinsam auftraten, erklärte Grünen-Chefin Baerbock eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz für „dringend geboten“. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) sah in der „Welt am Sonntag“ die AfD als Partei, „aus der heraus Beihilfe zum Rechtsradikalismus geleistet wird“. Innenminister Horst Seehofer (CSU) sagte dagegen den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: „Derzeit liegen die Voraussetzungen für eine Beobachtung der Partei als Ganzes für mich nicht vor.“

Der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka plädierte dafür, Teile der AfD vom Verfassungsschutz überwachen zu lassen. Sein CDU-Kollege Patrick Sensburg sagte NDR Info, er sei schon lange der Meinung, dass der Verfassungsschutz die AfD überwachen müsse.

Entsetzt über die Ausschreitungen in Chemnitz zeigte sich auch die nach langer Untersuchungshaft aus der Türkei zurückgekehrte deutsche Journalistin Mesale Tolu. „Das hat mir Angst gemacht“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf die Übergriffe unmittelbar nach der Tötung des 35-Jährigen. „In der Türkei habe ich gesagt, ich wolle in die Sicherheit und Geborgenheit in Deutschland zurückkehren - und dann diese Bilder aus Chemnitz.“

Für Sonntagnachmittag waren in Chemnitz zwei kleinere Demonstrationen von Chemnitzer Bürgern und der evangelischen Kirche gegen Gewalt und Fremdenhass angemeldet.

Am morgigen Montag wollen mehrere prominente Musiker Flagge gegen Hass, Gewalt und Ausländerfeindlichkeit zeigen. Zu dem Gratiskonzert unter dem Motto „#wir sind mehr“ haben sich Bands wie die Toten Hosen, Kraftklub, Feine Sahne Fischfilet oder Marteria & Casper angekündigt.