VW-Abgasskandal - Dicke Bretter in Braunschweig

Braunschweig (APA/AFP) - Aktenstapel, Exkurse in die Feinheiten des Kapitalmarktrechts und der Versuch, eine Ordnung in fast 200 komplexe Ei...

Braunschweig (APA/AFP) - Aktenstapel, Exkurse in die Feinheiten des Kapitalmarktrechts und der Versuch, eine Ordnung in fast 200 komplexe Einzelfragen zu einem der größten Skandale der jüngeren Wirtschaftsgeschichte zu bringen: Das Musterverfahren über mögliche Schadenersatzansprüche von hunderten Investoren gegen Volkswagen im Zuge der Dieselkrise stellt das Oberlandesgericht Braunschweig (OLG) vor eine gewaltige Aufgabe.

Bereits am ersten Verhandlungstag ging es am Montag hoch her. Dabei gab es erste Dämpfer für beide Seiten.

„Wir freuen uns, wenn jemand in Zivilverfahren kommt - das ist nicht so häufig der Fall“, scherzte der Vorsitzende Richter Christian Jäde zu Beginn der mündlichen Verhandlung des sogenannten Kapitalanleger-Musterverfahrens. Wegen des erwarteten Andrangs war bereits im Vorfeld entschieden worden, die Verhandlung in einen Saal der Braunschweiger Stadthalle zu verlegen. Nur für die Musterparteien und ihre Beigeladenen waren rund 60 Menschen im Raum, dazu dutzende Medienvertreter und drei Simultanübersetzerinnen für Beobachter aus dem Ausland.

Allein in Braunschweig sind für das Musterverfahren 1.645 Klagen von Anlegern ausgesetzt, die dem Autobauer vorwerfen, sie zu spät informiert und ihnen so massive Verluste beschert zu haben. Die höchste Einzelforderung beträgt rund 1,2 Milliarden Euro - die niedrigste 370,80 Euro. Um diese Klagen zu bündeln, sollen die Richter eine bindende Entscheidung im Musterverfahren treffen.

Befassen muss sich das OLG dafür mit insgesamt 193 sogenannten Feststellungszielen, also Fragen, die für alle Kläger gleichermaßen von Bedeutung sind. Und das ist alles andere als einfach: Einige Probleme seien dabei „zum Teil so komplex, dass eine Festlegung des Senats auf einen Lösungsweg zum jetzigen Zeitpunkt - also bevor die Beteiligten Gelegenheit zur ergänzenden Stellungnahme hatten - nicht möglich ist“, sagte Jäde.

Dennoch deutete das Gericht bereits am ersten Verhandlungstag an, wie es zu einigen relevanten Punkten steht. So könnten nach vorläufiger Auffassung des Senats die Ansprüche von Anlegern bis Mitte 2012 verjährt sein. Grund dafür sei die absolute Verjährungsfrist des damals gültigen entsprechenden Paragrafen des Wertpapierhandelsgesetzes. Für die Klägerseite ist das ein Dämpfer - denn diese hatte argumentiert, dass Volkswagen schon Jahre vor Bekanntwerden des Dieselskandals Anleger hätte informieren müssen.

Volkswagen hatte im Vorfeld der Verhandlung hingegen betont, dass sich eine Bedeutung für die Kapitalmärkte erst nach einer Mitteilung der US-Umweltbehörde EPA im September 2015 ergeben habe, woraufhin der Konzern dann auch eine Pflichtmitteilung an die Anleger veröffentlichte.

Hierzu äußerte Jäde die Senatseinschätzung, dass bereits ab Mai 2014 unter anderem durch die Ermittlungen der US-Behörden zu Manipulationen der Abgaswerte die Schwelle der Kursrelevanz erreicht worden sein könnte. Für einen Anspruch auf Schadenersatz müssten dann aber noch weitere Voraussetzungen - wie etwa ein Verschulden - hinzukommen.

In viele Bereichen, wie etwa der „Wissenszurechnung“ - also der Frage, wer im Konzern wann was wusste, habe der Senat aber bisher „keine einheitliche Einschätzung getroffen“, sagte Jäde. Dort müsse er sich noch „vertiefte Gedanken“ machen, sagte der Vorsitzende Richter zum Abschluss des ersten Verhandlungstags. „Wir werden heute ohnehin nicht alle Feststellungsziele zu Ende bringen.“