TT-Interview

Klangspuren-Chef Kainrath: Die Lust auf Zukunft wecken

Bereits die Eröffnung von Transart18 zeigte: das Festival gibt sich disziplinenübergreifend.

Peter Paul Kainrath hat als Leiter der Klangspuren auch das Festival „transart“ lanciert. Ein Gespräch über die Rolle von Festivals und ein fehlendes Euroregio-Publikum.

Sie fragen im Programm zum Transart-Festival in Bozen ganz offen: „Ist uns nach Feiern?“ Gibt es eine Antwort von Ihnen?

Peter Paul Kainrath: Wichtig ist, dass uns der Sinn für die Zukunft erhalten bleibt. Ich bin beruflich immer wieder in Asien, dort hat man einen ganz konkreten Begriff von Zukunft. Bei uns hat man inzwischen eine viel vagere Vorstellung davon, was morgen passieren wird: auf die ständige Überforderung, Migration, die EU gibt es keine konkreten Lösungen. Diese Einleitung deshalb, weil ich glaube, dass ein Festival zeitgenössischer Kultur die Lust auf Zukunft wecken muss. Auch in Form eines Festes. Was aber nicht heißt, dass man die Augen verschließen muss, vor dem, was um uns passiert und man nur selbstreferenziell ein paar nette Veranstaltungen organisiert.

Eine Arbeit am „Zeitgenossenkulturbegriff“, wie Sie ihn in Ihrem Text nennen?

Peter Paul Kainrath.

Kainrath: Ja, der Zeitgenosse ist schließlich etwas Wertfreies. Wir sind alles Zeitgenossen, egal mit welchem kulturellen Gepäck wir unterwegs sind. Das ist auch eine der Kräfte von Transart, dass wir inklusiv arbeiten. Unser Publikum ist sprachenübergreifend, generationsübergreifend, geschmacksübergreifend. Das Programm ist dementsprechend weit gespannt: Von einer hochanspruchsvollen, an der Grenze zur Überforderung platzierten Uraufführung von Agatha Zubel über Clubbing hin zur Wanderung mit beglockten Kühen vom Künstler Olaf Nicolai.

Wo sehen Sie das Potenzial an dieser spartenübergreifenden Ausrichtung?

Kainrath: In den ersten Ausgaben von Transart glaubte man, eine Welle urbaner Kultur schwappe über Südtirol aber uns werde bald die Energie ausgehen. Inzwischen gibt es uns seit 18 Jahren. Das ist gelungen, weil wir in unserem Erzählen von zeitgenössischer Kultur, in all ihren Disziplinen, versuchen, das Hermetische zu vermeiden. Deshalb auch die vielen Partnerschaften etwa mit dem Museion, mit „argekunst“, dem Haydn-Orchester oder den Klangspuren Schwaz. Wir sind maximal offen. Dadurch erreichen wir eine andere Aufmerksamkeit. Wir sehen das Festival als Scharnier zwischen den Disziplinen. Jemand, der sich für Literatur interessiert, wird sich plötzlich in einem größeren Rahmen wiederfinden und bekommt Lust auf mehr. Das erzeugt Bewegung.

Ist Südtirol ein guter Nährboden für diese Ausrichtung?

Kainrath: Für Transart war das Gründungsjahr 2001 ein Glücksfall. Man kann es als Lücke beschreiben, als nicht betretenes Gelände. Anfänglich gab es das Missverständnis, es wäre ein Festival Neuer Musik, auch weil es durch mich als damaligen Leiter der Klangspuren entstand. Der Ansatz war aber ein anderer.

Wie unterscheiden sich die beiden Landesteile in puncto Interesse?

Kainrath: Die Erfahrung und das Wissen um Neue Musik war in Nordtirol immer weiter. Durch die Klangspuren, die Galerie St. Barbara, ORF Musik im Studio – all diese Dinge haben den Boden bereitet. In Südtirol, und das hat uns zu diesem interdisziplinären Ansatz bewegt, hatte ich den Eindruck, dass das Interesse und der Umgang mit der bildenden Kunst weiter war. Das Museion ist ein sichtbares Wahrzeichen dafür. Auf diesem Feld haben sich viele wichtige Akteure herauskristallisiert. In Innsbruck hingegen festigt man mit dem Haus der Musik das starke Bekenntnis zur Musik.

Aber das eine schließt das andere nicht aus.

Kainrath: Natürlich nicht. Was nach wie vor fehlt, ist ein Publikum, das sich als Euregio-Publikum begreift. Da findet zu wenig Bewegung statt. Das MART in Rovereto müsste von seiner Ausrichtung her eine immense Strahlkraft haben, sodass jeder von Kufstein bis Ala die Institution für seine Ausrichtung als Highlight begreift. Beim Busoni-Klavierwettbewerb in Bozen, immerhin einer der wichtigsten Klavierwettbewerbe weltweit, gibt es kaum Publikum aus Innsbruck.

Wie erklären Sie sich das?

Kainrath: Selbst in den Medien gibt es oft nicht mehr diesen Platz, das große Ganze zu beschreiben. Wir müssen die Initiativen viel selbstverständlicher kommunizieren. Und letztlich ist es auch eine Frage der Mobilität.

Wieso finden Klangspuren und transart dann aber gleichzeitig statt?

Kainrath: Der September ist für Südtirol ideal, man kann all die alternativen Orte bespielen und fällt zugleich nicht in die Touristensaison. Und so gibt es die Möglichkeit, direkt mit den Klangspuren zu kooperieren. Eine Zusammenarbeit, die wir in Zukunft ausbauen möchten.

Wie schafft man es, ein Festival zu machen, das nicht nur Event ist?

Kainrath: Man muss sich über seine Rolle klarwerden. Sowohl die Festivalmacher als auch die Kulturpolitik, die keine Angst haben darf, einen Diskurs anzuregen. Qualität misst sich daran, ob man es schafft, einen Inhalt im öffentlichen Diskurs zu platzieren.

Ab 2020 geht es für Sie zum Klangforum nach Wien. Wie geht es mit Ihren anderen Initiativen weiter?

Kainrath: Ich werde sozusagen die Seiten wechseln und ein Ensemble leiten. Die Manifesta 12, die noch bis November in Palermo läuft, ist meine letzte als Vize-Direktor, den Busoni-Wettbewerb werde ich weitermachen. Bei transart wird man noch sehen. Bis 2020 bleibt ja noch ein wenig Zeit.

Das Gespräch führte Barbara Unterthurner.

Transart18 in Bozen (6.–30. September 2018)

Ko-Produziert. Mit den Klangspuren Schwaz organisiert Transart die kulinarische Musikperformance „Feeding Frenzy“ (20. September, 20.30 Uhr).

Orte.

Transart ist bekannt für seine teilweise ungewöhnlichen Spielstätten. Nicht nur die Bahnhofsremise in Bozen wird bespielt, sondern u. a. die obere Festung Franzensfeste: Performance „Polymorphic Archetypes“ von Künstler Michael Fliri (29. September, 11 Uhr).

Italienische Erstaufführung.

Der Musikzyklus „Die Weber“ zum gleichnamigen Stummfilm und dem Drama von Gerhart Hauptmann (28. September, 20.30 Uhr).

Alle Infos: www.transart.it

Engagiert.

Kainrath initiierte „Transart“ 2001. Weitere Stationen: Klangspuren (2001–2013), Manifesta, Busoni-Wettbewerb.