Warschau ernennt neuen amtierenden Chef des Obersten Gerichts
Warschau (APA/AFP) - Die polnische Präsidentschaft hat am Dienstag einen neuen amtierenden Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs ernannt un...
Warschau (APA/AFP) - Die polnische Präsidentschaft hat am Dienstag einen neuen amtierenden Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs ernannt und sich damit über die Kritiker der Maßnahmen im Justizwesen hinweggesetzt. Wie das Büro von Staatschef Andrzej Duda mitteilte, löst Dariusz Zawistowski die bisherige Vorsitzende Malgorzata Gersdorf ab.
Die Europäische Union, Polens Oppositionsparteien und Bürgerrechtsgruppen werfen der nationalkonservativen Regierung vor, gegen rechtsstaatliche Prinzipien zu verstoßen und die Unabhängigkeit der Justiz anzutasten.
Anfang Juli war ein Gesetz in Kraft getreten, das die Altersgrenze für Richter am Obersten Gericht von 70 auf 65 Jahre senkte. Damit wurden 27 der 73 Richter in die Zwangspensionierung geschickt, darunter auch die 2014 ernannte und mittlerweile 65 Jahre alte Gersdorf.
Sie war ungeachtet der Versetzung in den Zwangsruhestand weiterhin monatelang zur Arbeit erschienen und wurde dabei von Kritikern des Gesetzes unterstützt. Zwölf Richter hatten eine Dienstverlängerung beantragt, aber nur fünf von ihnen dürfen ihre Arbeit fortsetzen, wie Duda am Dienstag entschied.
Das Gesetz zur Zwangspensionierung von Richtern am Obersten Gericht zählt zu den umstrittenen Maßnahmen im Justizbereich, deretwegen die EU-Kommission seit 2016 gegen die Regierung in Warschau vorgeht. Kritiker sehen das Gesetz als weiteren Versuch der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die polnische Justiz auf Linie zu bringen. Zuvor hatte sie bereits die Zusammensetzung des zur Unabhängigkeit verpflichteten Landesrichterrats verändert.
Anfang 2016 hatte Brüssel erstmals in der EU-Geschichte ein Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit eingeleitet, als Warschau die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts beschnitt. Im Dezember folgte dann ein Vertragsverletzungsverfahren wegen eines Gesetzes, das die Befugnisse des Justizministers bei der Besetzung von Richterposten ausweitet.
Vor drei Wochen hatte die EU-Kommission in dem im Juli eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen zum Schutz der Unabhängigkeit des Obersten Gerichts die nächste Stufe eingeleitet. Polen habe die rechtlichen Bedenken Brüssels immer noch nicht ausgeräumt, bemängelte die EU-Kommission. Sie gab Warschau einen Monat Zeit für eine Kurskorrektur.
Die Kommission wirft Warschau vor, die Unabhängigkeit der Justiz zu beschneiden und die Gewaltenteilung zu untergraben. Das Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen kann zumindest theoretisch bis zum Entzug von Stimmrechten auf EU-Ebene führen. Das Votum darüber muss allerdings einstimmig fallen. Das ebenfalls rechtskonservativ regierte Ungarn hat bereits angekündigt, Strafmaßnahmen gegen Warschau nicht mitzutragen.