EU-Vorsitz - Sanchez-Regierung mit Legitimationsproblemen

Madrid/Wien (APA) - Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) trifft sich am heutigen Mittwoch mit seinem spanischen Amtskollegen Pedro Sanchez in ...

Madrid/Wien (APA) - Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) trifft sich am heutigen Mittwoch mit seinem spanischen Amtskollegen Pedro Sanchez in Madrid. Neben den „bilateralen Beziehung“ soll es in Vorbereitung auf den nächste Woche in Salzburg stattfindenden EU-Gipfel und das Wiener EU-Afrika-Forum in Dezember vor allem um die „Migrationskrise“ gehen.

Das Thema ist für Madrid derzeit besonders wichtig: Nach der Schließung der Balkanroute und der restriktiven Flüchtlingspolitik Italiens, haben sich die Migrationsströme aus Afrika erneut ins westliche Mittelmeer verschoben und haben Spanien zum neuen Hauptziel gemacht, um Europa zu erreichen.

Doch Bundeskanzler Kurz erwischt keinen günstigen Moment für seinen Madrid-Besuch. Sanchez und seine Regierung plagt derzeit neben dem Konflikt mit Kataloniens Separatisten vor allem ein Legitimations- und Glaubwürdigkeitsproblem. Sanchez ist erst seit 100 Tagen im Amt und am Dienstag musste bereits sein zweites Regierungsmitglied zurücktreten.

Spaniens Gesundheitsministerin Carmen Monton trat nach Medienberichten über einen angeblich erschwindelten Masterstudiengang an der Madrider Juan Carlos Universität zurück. Mitte Juni musste schon Kulturminister Maxim Huerta nach nur sechs Tag im Amt seinen Hut nehmen, nachdem bekannt wurde, dass er Jahre zuvor wegen Steuerbetrugs zu einer hohen Geldstrafe verurteilt worden war.

Die beiden Fälle haben besondere Brisanz, da Sanchez seinen konservativen Vorgänger Mariano Rajoy Anfang Juni ausgerechnet wegen einer Korruptionsaffäre seiner Volkspartei (PP) per Misstrauensantrag stürzte. Als Oppositionsführer kritisierte Sanchez die Konservativen stets vehement für die Steuerbetrugs- und Korruptionsfälle in ihren Reihen.

Wegen eines angeblich ebenfalls erschwindelten Master-Titels an der Juan Carlos Universität musste im Sommer auch die konservative Madrider Regionalpräsidentin Cristina Cifuentes zurücktreten. Rajoys Nachfolger an der PP-Spitze Pablo Casado steht immer noch unter dem Verdacht, seinen Mastertitel an der selben Universität eher wegen seiner politischen Position als für geleistete akademische Leistungen erhalten zu haben. Ein gefundenes Fressen für Sanchez Sozialisten gegen den neuen Oppositionsführer.

Doch werden die Vorwürfe nun zum Bumerang. Am Dienstagabend forderte der liberale Ciudadanos-Chef Albert Rivera im parlamentarischen Kontrollausschuss bereits medienwirksam von Sanchez, er solle bitte auch die Gültigkeit seines eigenen Doktortitels in Wirtschaftswissenschaften nachweisen. Sanchez reagierte erbost und kritisierte Rivera, eine politische „Schlammschlacht“ auslösen zu wollen.

Da ist was dran. Im Frühjahr stehen Europawahlen an. Zeitgleich sind Kommunal- und einige Regionalwahlen - vielleicht sogar in so wichtigen Regionen wie Katalonien und Andalusien. Spaniens neuer konservativer Oppositionsführer Casado will die seiner Partei „unrechtmäßig“ entrissene Macht zurück. Und die liberalen Ciudadanos sehen ebenfalls ihre Stunde gekommen. In Spanien herrscht eine Art Vor-Wahlkampf.

Dabei haben die Oppositions-Parteien neue Munition. Der Sanchez-Regierung fehlt es nämlich immer mehr an Glaubwürdigkeit. Nach dem Misstrauensvotum versprach Sanchez, sobald wie möglich Neuwahlen einzuberufen. Nun will er davon nichts mehr wissen, fordert zumindest noch die Legislaturperiode beenden zu können. Ob das die anderen Parteien zulassen, ist fraglich. Sanchez steht einer sehr schwachen Minderheitsregierung vor und verfügt im Parlament nur mit 84 von 350 Abgeordneten.

Er ist von punktuellen Unterstützungen im Parlament abhängig, und ausgerechnet von den Linkspopulisten sowie baskischen und katalanischen Nationalisten und Separatisten, was das Regieren nicht einfach macht. Zudem sieht sich Sanchez im Parlament einer überstarken konservativen Fraktion gegenüber, die im Senat, wo alle Gesetze nochmals verabschiedet werden müssen, auch noch über eine absolute Mehrheit verfügen.

So konnte Sanchez bisher viele seiner Versprechen beim Misstrauensvotum wie die Arbeitsmarktreform, die Umstrukturierung der Autonomien-Finanzierung oder die Einführung einer „Reichensteuer“ nicht umsetzen. Viele seiner Gesetzesinitiativen boxte er deshalb per Regierungsdekret durch. Das machte häufig auch sein Vorgänger Mariano Rajoy. Der verfügte aber jahrelang über eine Parlamentsmehrheit und Sanchez kritisierte stets diese Art des Herrschens. Nun machte der Sozialist das Gleiche.