Pressestimmen zum EU-Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn
Budapest/Straßburg (APA/dpa) - Zur Auslösung eines EU-Rechtsstaatsverfahrens gegen Ungarn schreiben europäische Tageszeitungen am Donnerstag...
Budapest/Straßburg (APA/dpa) - Zur Auslösung eines EU-Rechtsstaatsverfahrens gegen Ungarn schreiben europäische Tageszeitungen am Donnerstag:
„Nepszava“ (Budapest):
„Das Europaparlament hat den (dem Verfahren zugrunde liegenden) Bericht (der Grünen-Abgeordneten Judith Sargentini) gebilligt, der keine Kritik an Ungarn, sondern an der Politik der ungarischen Regierung darstellt. Es hat sich zu der Aussage bekannt, dass der (von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban verkündete) Illiberalismus keinen Platz hat in der Gemeinschaft der Europäer. Das Abstimmungsergebnis richtet sich auch an die ungarische Nation: Früher oder später wird sie sich zwischen Orban und Europa entscheiden müssen. (...) Es handelt sich um das erste, wirklich große, nicht mehr verheimlichbare internationale Scheitern des Orban-Regimes. Europa will keinen Orban, aber die (Budapester) Regierung wird nicht von Brüssel oder Straßburg aus zu stürzen sein. Das ist Sache der ungarischen Wähler.“
„Magyar Idök“ (Budapest):
„Der (der Abstimmung zugrundegelegte) „Bericht“ der (Grünen-Abgeordneten Judith) Sargentini ist genau so viel wert wie das ‚Weißbuch‘ der Kommunisten, in dem diese (nach der Niederschlagung des anti-sowjetischen Volksaufstands von 1956) die ‚Verbrechen der Konterrevolution‘ zusammenfassten. (...) Nur so viel brauchen wir von dem Ganzen zu wissen und zu verstehen. Und in gut einem halben Jahr werden wir (infolge der nächsten Europawahlen) all diese ehrlosen Halunken aus den EU-Institutionen hinausschmeißen und die Demokratie wiederherstellen können. Auch werden wir im Bündnis mit unseren Freunden (rechts von der EVP) im nächsten Europaparlament die größte Fraktion bilden können. Die Fraktion der Normalen. Danach besteht derzeit der größte Bedarf.“
„Times“ (London):
„Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban posiert nun als Verteidiger der nationalen Souveränität gegen Brüsseler Schikanen. Der tiefere Grund des Streits war die Weigerung Ungarns und einiger anderer europäischer Länder, Pflichtquoten für die Aufnahme von Flüchtlingen zu akzeptieren. Brüssel und Berlin hatten dies als niederträchtigen Betrug an der europäischen Solidarität dargestellt. Wichtiger noch war, wie auch immer, dass damit ein Schlaglicht auf den Zusammenbruch der EU-Politik angesichts der Konfrontation durch eine unterkontrollierte Massenzuwanderung geworfen wurde. Die Spaltung zwischen dem Westen und dem Osten in der EU wird in Budapest und Warschau als Konflikt angesehen zwischen selbst ernannten Regelgebern in Paris und Berlin und kleineren Ländern, die diese Regeln grundsätzlich zu befolgen haben. Juncker hätte zwischen diesen Positionen eine Brücken bauen sollen. Stattdessen hat er sie niedergebrannt. Der EU-Kommissionspräsident scheint zu glauben, er könne Europa zu einer multilateralen Vision und einem alternativen Wertesystem als Gegengewicht zur Trump-Administration in den USA führen. Das Ergebnis ist, dass er die Kommission in eine Sackgasse führt und damit die westliche Allianz untergräbt.“
„El Pais“ am Donnerstag:
„In einer historischen Entscheidung hat das Europaparlament gestern die Anwendung von Artikel 7 der EU-Verträge gegen Ungarn empfohlen. Das könnte zum Entzug der Stimmrechte von Budapest führen. Es ist das erste Mal seit dem Beginn des Projekts der politischen und wirtschaftlichen Union im Jahr 1957, dass das Europaparlament einen Prozess dieser Art gegen ein Land einleitet, dessen Regierung ein Abdriften ins Autoritäre zeigt. Das Verfahren gegen Ungarn, das mit 448 zu 197 Stimmen gebilligt wurde, ist von außergewöhnlicher Bedeutung. Zum einen zeigt es, wie weit es die von Viktor Orban angeführten Regierung mit ihren populistischen Launen getrieben hat. Es stellt aber auch die Entschlossenheit der Organe der Union unter Beweis, nicht zuzulassen, dass das europäische Projekt von innen untergraben wird.“
„Sme“ (Bratislava):
„Die Europaparlamentarier haben (Ministerpräsident Viktor) Orbans Mutation einer an die Bedürfnisse eines Autokraten angepassten Demokratie abgelehnt. Sie haben verstanden, dass solche Mutationen nicht mit einer echten Demokratie vereinbar sind. Und sie haben auch begriffen, dass es ein grundsätzliches Versagen und zugleich grünes Licht für weitere europäische Autokraten bedeutet hätte, wenn sie jetzt nicht für die Bürger- und Menschenrechte aller Ungarn aufgestanden wären - zum Beispiel das Recht auf eine unabhängige und kritische Presse oder einen transparenten Umgang mit den Steuern, die sie zahlen.“
„Trud“ (Sofia):
„Die wahre Demokratie ist ein Rede-Spektakel. Auf dem Alten Kontinent wird diese Disziplin am besten im Plenarsaal des Europaparlaments praktiziert. (.) Das Bühnenstück, das das EU-Parlament bei der Eröffnung seiner letzten Saison dieses legislativen Mandats aufführte, hieß kurz und schlicht „Die Lage in Ungarn“. (.) Nach den heißen Debatten am Dienstag billigte das Europaparlament letzten Endes am Mittwoch den Bericht „Die Lage in Ungarn“ mit einigen Änderungen von skandalöseren Formulierungen.
Das Dokument vereinigte auf sich die notwendigen zwei Drittel der Stimmen der Europaabgeordneten, um die notwendige Aufmerksamkeit zu erhalten und im EU-Rat erörtert zu werden. Damit der Artikel 7 gegen Ungarn formell aktiviert wird, ist aber der einstimmige Beschluss der Mitgliedstaaten erforderlich. Dem wird zumindest Polen im Wege stehen - ebenso wie Budapest Warschau vor ähnlichen Handlungen von Brüssel ‚schützt‘. Und so wird alles bis zum nächsten Spektakel weitergehen.“
„Gazeta Wyborcza“ (Warschau):
„Nachdem die PiS die Gerichte unter ihre Kontrolle gebracht hat, vor allem das Oberste Gericht, das über die Gültigkeit der Parlamentswahlen entscheidet, sind einige Kommentatoren der Meinung, dass Polen unvermeidlich den Weg Ungarns gehen wird. (...)
Doch die Polen sind europäischen Werten mehr verbunden, und Polen ist für Europa ein wichtigeres Land als Ungarn. Die europäischen Eliten werden sich nicht so leicht damit abfinden, sollte Polen nach Osten abdriften. (Jaroslaw) Kaczynskis Partei punktet vor allem auf dem Land, doch ihre Position wird unter anderem durch die Dürre und Afrikanische Schweinepest stetig untergraben.
Viele Kommentatoren sagen voraus, dass die PiS die Wahlen fälschen wird, indem sie ihre Kontrolle über das Oberste Gericht nutzt. Das ist natürlich möglich, doch die Reaktion, die das in Polen und Europa auslösen würde, könnte die Regierung der PiS stürzen, so wie die Regierung von Viktor Janukowitsch zu Fall gebracht hat.“
„Adevarul“ (Bukarest):
„Dies ist nicht nur ein Zeichen für die Wähler konservativer Parteien. Es folgt einer gemeinsamen Position aller Mainstream-Parteien zugunsten der unbedingten und kompromisslosen Einhaltung dessen, was der EU-Vertrag ‚Grundwerte‘ nennt. (...) Nach diesem Kriterium werden sich die künftigen Machtkreise in Europa konstituieren und dem entsprechend werden sich die wichtigsten Akteure positionieren, die im Spiel bleiben wollen. (...) Es ist auch ein Signal an ähnliche (EU-feindliche) Bewegungen innerhalb anderer politischer Familien. (...) Es heißt, dass die europäischen Sozialisten bereit seien, auch die (rumänische sozialdemokratische Partei) PSD des (vorbestraften Parteichefs Liviu) Dragnea zu opfern - vielleicht auch aus Gründen der Symmetrie.“
~ WEB http://www.europarl.europa.eu/portal/de ~ APA128 2018-09-13/10:39