Formel 1: Die „Wasserträger“ als i-Tüpfelchen im WM-Kampf
Wien/Singapur (APA) - Gerhard Berger glaubt nicht, dass die aktuelle Piloten-Rochade in der Formel 1 die laufende WM stark beeinflussen wird...
Wien/Singapur (APA) - Gerhard Berger glaubt nicht, dass die aktuelle Piloten-Rochade in der Formel 1 die laufende WM stark beeinflussen wird. Weil Kimi Räikkönen 2019 von Ferrari zu Sauber wechselt, sind Zweifel aufgekommen, ob der Finne in den verbleibenden Rennen noch den perfekten Wasserträger für Titelkandidat Sebastian Vettel spielen möchte. Bereits am Sonntag in Singapur wird man sehen, wohin die Reise geht.
Zuletzt in Monza hatte überraschend Raikkönen und nicht Vettel die Pole Position geholt. Prompt kollidierte Vettel schon in der ersten Runde beim Versuch, sich nach vorne zu bringen, mit dem Mercedes von Lewis Hamilton und wurde am Ende nur Vierter. Sieben Rennen vor Schluss liegt der Deutsche deshalb schon 30 Punkte hinter Titelverteidiger Hamilton.
Auffallend war in Monza vor allem, dass Räikkönen im Qualifying taktisch bevorzugt wurde und einen Sieg nur wegen nachlassender Reifen verpasste. Valtteri Bottas hingegen hatte die meiste Zeit unterstützend als „Wingman“ für Hamilton agiert. Ferrari-Teamchef Maurizio Arrivabene hat sich inzwischen beim Finnen für seinen Satz entschuldigt, er beschäftige Fahrer und keine Butler. Dies sei ihm herausgerutscht, betonte Arrivabene vor dem Nachtrennen in Singapur (Sonntag 14.10 Uhr/live ORF eins, RTL).
Berger ist überzeugt, dass Räikkönen trotz seiner Nicht-Verlängerung bei Ferrari auch künftig mannschaftsdienlich fahren wird. Der bald 39-jährige Kult-Finne hängt zwei Jahre bei Alfa Romeo Sauber an, das mit Ferrari-Motoren fährt. „Kimi ist Profi genug. Und wir wissen, dass Sauber sehr, sehr nahe bei Ferrari dran ist. Ich gehe davon aus, dass die Zukunft zusammen mit Sauber und Ferrari gemacht worden ist, und Teil dieser Zukunft ist, dass Kimi schon weiß, für welches Team er fährt und wer Titelkandidat ist“, glaubt Berger.
Der ehemalige Formel-1-Fahrer und nunmehrige D-Chef aus Tirol ist mit der Bezeichnung „Wasserträger“ etwas unglücklich. „In dem Moment, in dem mathematisch feststeht, dass man im Gegensatz zum Teamkollegen nicht mehr Weltmeister werden kann, ist es deine Aufgabe, dein Team zu unterstützen.“ Berger ist bewusst, dass das für Formel-1-Piloten eine schwierige Nummer ist. „Ich kenne das Thema ja selbst von (Ayrton, Anm.) Senna. Das ist aber etwas, das man - ohne es auszusprechen - einfach macht, wie eben Bottas bei Mercedes.“
Als „Wingman“ (Flügelmann) wird jemand bezeichnet, der das Selbstvertrauen oder das gesellschaftliche Ansehen seines Begleiters stärkt - also dem Teamkollegen hilft, möglichst viele Punkte zu holen. Davor hatte sich Bottas noch darüber alteriert, als Mercedes-Teamchef Toto Wolff in Ungarn über Bottas von einem „perfekten Wingman“ gesprochen hatte. „Das ist ihm sicher nicht ganz einfach herausgerutscht“, ist Berger überzeugt. „Wenn du von den Punkten her hinten bis, bist du einfach der zweite Mann. Auch die ganz Großen sind schon mal Zweiter gewesen. Wenn du im letzten WM-Drittel abgeschlagen bist, wirst du automatisch der Wingman.“
Bergers Neffe Lucas Auer weiß, wie zäh dieser Job ist. „So etwas ist wirklich zäh, weil du ja grundsätzlich in erster Linie deinen Teamkollegen schlagen sollst“, weiß der DTM-Fahrer, der im Vorjahr Formel-1-Tests für Force India bestritten hat. Auch Auer glaubt nicht, dass die Rochade zwischen Räikkönen und dem 2019 Ferrari fahrenden Jungstar Charles Leclerc aktuell Auswirkungen haben wird. „Sie wussten ja sicher schon vor der Bekanntgabe Bescheid.“
Berger ist trotz des klaren Rückstands von Vettel überzeugt, dass in der Fahrer-WM noch alles offen ist. „Ferrari hat im Moment ein extrem starkes Auto“, betonte der Tiroler. Zu Vettel meinte er: „Mit konservativer Fahrweise hast du gegen Hamilton keine Chance. Vielmehr musst du die Ellbogen voll ausfahren. Wenn es so ausgeht wie in Monz,a ist das zwar ärgerlich. Aber im Moment des Rennens geht es einfach darum, aggressiv nach vorne zu kommen. Und wo gehobelt wird, fliegen halt Späne. Das kann umgekehrt auch passieren, Hamilton ist auch anfällig für solche Themen.“
Ein Detail könne laut Berger aber spielentscheiden werden und spreche derzeit für Hamilton: „Immer wenn man mehr als 25 Punkte, also einen Grand-Prix-Sieg voraus ist, hat man ein bissl mehr Spielraum und kann es etwas lockerer angehen. Diese Karte werden Hamilton und Mercedes schon spielen. Du weißt, dass du mal einen Fehltritt haben kannst und trotzdem vorne bleibst.“
Klar ist auch für Berger, dass sich der WM-Kampf nur noch zwischen Hamilton und Vettel abspielt. Eine Prognose gab der zehnfache GP-Sieger aber auch angesichts des Momentums für Hamilton nicht ab. „Die WM ist komplett offen“, betonte Berger vielmehr. „Jede Vorhersage wäre derzeit Spekulation.“