Lebenslange Haft für Afghanen nach Messerattacken in Wien

Wien (APA) - Ein 23-jähriger Afghane, der im März dieses Jahres in Wien-Leopoldstadt mit einem Messer eine völlig unbeteiligte Familie, sein...

Wien (APA) - Ein 23-jähriger Afghane, der im März dieses Jahres in Wien-Leopoldstadt mit einem Messer eine völlig unbeteiligte Familie, seinen Drogendealer sowie einen Zeugen attackiert hatte, ist am Freitagabend nicht rechtskräftig zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Die Geschworenen sprachen den 23-Jährigen am Landesgericht des Mordversuchs schuldig.

Die Geschworenen entschieden auf vierfachen Mordversuch, verneinten dies aber im Fall des Passanten, der sich dem 23-Jährigen in den Weg gestellt hatte. Nach ihrer Ansicht sei dies lediglich eine Nötigung gewesen. Den Opfern wurde das beantragte und anerkannte Schmerzengeld zugesprochen. Laut der vorsitzenden Richterin Nina Steindl wurde mildernd gewertet, dass es beim Versuch geblieben war, erschwerend war u.a., der rasche Rückfall nach einer Haftentlassung, das Zusammentreffen von vier Verbrechen, die besondere Heimtücke, dass unschuldige Opfer betroffen waren und der hohe Unrechtsgehalt. Der Angeklagte meldete nach Beratung mit seinem Verteidiger Nichtigkeit und Berufung an.

Der afghanische Asylwerber hatte am 7. März am Nestroyplatz, laut Staatsanwältin „wie im Blutrausch“, zunächst auf eine dreiköpfige Familie eingestochen. Das Ehepaar und die 17-Jährige Tochter überlebten nur aufgrund einer besonders gut funktionierenden Rettungskette. Anschließend lief der Angeklagte in Richtung Praterstern, wo er sich an seinem Drogendealer rächen wollte, den er für seine triste Lebenssituation verantwortlich machte. Auf dem Weg dorthin stellte sich ihm ein Passant in den Weg, der vermutete, der Mann sei von einer Schlägerei geflüchtet. Lediglich durch seine schnelle Rektion könnte dieser Zeuge Messerstichen ausweichen. Weniger Glück hatte anschließend der Dealer: Ihm stach der 23-Jährige in den linken unteren Rippenbogen.

Bei der Polizei hatte der Beschuldigte noch ausführliche Aussagen gemacht. Er wäre wegen Drogenkonsums aus der Flüchtlingsunterkunft geflogen, er sei mit seiner Lebenssituation sehr unzufrieden gewesen und von einem Hotelportier als schwul beschimpft worden. Daraufhin hätte er sich zwei Messer besorgt, um diesen „zur Rede zu stellen“. Am Weg begegnete ihm jedoch beim Nestroyplatz die Zahnarztfamilie, und er habe den Eindruck gehabt, diese würde ihn auslachen.

Nach diesem Angriff wollte er sich an seinem Dealer rächen, den er am Praterstern vermutete. Nachdem er auch diesen niedergestochen hatte, hatte er vor, weitere Drogenhändler am Schottenring attackieren, fand diese jedoch nicht und wurde auf dem Rückweg zum Praterstern festgenommen.

Vor Gericht wollte sich der Angeklagte jedoch an kaum etwas erinnern und folgte damit der Linie seines Verteidigers Wolfgang Blaschitz. Dieser sprach von einer „drogenindizierten Psychose“, die seinen Mandanten, der in einer Fantasiewelt gelebt habe, zu den Taten verleitet habe. Drei Gramm Kokain sowie mehrere Ecstasy-Tabletten habe er konsumiert, so der Beschuldigte.

Dies sei jedoch auszuschließen, so der Sachverständige Paul Gmeiner: Die entsprechenden Blutproben hätten lediglich THC durch Cannabis ergeben, anderes Suchtgift könne er nicht genommen haben. Auch bei zwei Einvernahmen bei der Polizei unmittelbar nach der Festnahme hatte der Afghane selbst ausgeschlossen, in den zehn Tagen zuvor Drogen genommen zu haben.

Laut dem psychiatrischen Sachverständigen Peter Hofmann war die Tat „ein Amoklauf, wie er in der heutigen Zeit leider immer öfter vorkommt“. Bei dem Afghanen hätten sich Zorn, Wut. Frustration und Kränkung über Jahre aufgebaut. „Das hat an ihm genagt und viel Frust bei dieser Tat entladen.“ Es gäbe keinen Grund für eine Einweisung, stellte der Sachverständige klar. Bis zu der Tat sei er auch nie in psychiatrischer Behandlung gewesen.

Der medizinische Sachverständige Christian Reiter berichtete, dass der Familienvater bereits klinisch tot war. Er sei unter Reanimationsbedingungen ins AKH eingeliefert worden. Durch den Sauerstoffmangel hätten jedoch die Nieren derart gelitten, dass der Zahnarzt nunmehr dreimal pro Woche eine Dialyse benötigt. „Mit 68 Jahren ist es schwer, dass man noch eine neue Niere bekommt.“ Auch die Mutter wäre ohne die perfekt funktionierende Rettungskette verblutet, ebenso der Drogendealer. Die Verletzung der Tochter war „nur“ potenziell lebensgefährlich. Der Zeuge, der sich dem Afghanen in den Weg gestellt hatte, wäre zumindest schwer verletzt worden, hätte ihn dessen Messerstich getroffen.

Von Weinkrämpfen geschüttelt, bis sie völlig die Fassung verlor, hatte eines der Opfer vor Gericht die dramatische Attacke geschildert. Die Mutter war das erste Familienmitglied, das von dem Afghanen angegriffen wurde. Obwohl sich der Angeklagte bei der Aussage nicht im Verhandlungssaal befand, waren ihr die psychischen Folgen deutlich anzumerken.

Etwas besser schien, zumindest oberflächlich, die 17-Jährige die Geschehnisse verarbeitet zu haben. Ruhig und gefasst erzählte sie, dass ihr der 23-Jährige beim Vorbeigehen „eigenartig“ vorgekommen sei. Deshalb habe sie sich umgedreht, ob dieser auch weitergehen würde. Dabei sah sie, dass dieser offenbar das Messer herauszog und auf ihre Stiefmutter losging, danach war ihr Vater das nächste Ziel. „Da habe ich realisiert, jetzt bin gleich ich dran, und bin auf die Straße gelaufen.“ Auch auf sie wurde eingestochen, doch der Angreifer ließ von ihr ab, da der Vater seine Tochter zu retten versuchte. „Da bin ich zu anderen Menschen geflüchtet.“ Der 68-Jährige ist durch das Geschehen psychisch so schwer angeschlagen, dass auf seine Aussage verzichtet werden musste.

Die Staatsanwältin hatte sich in ihrem Plädoyer dafür ausgesprochen, „die volle Härte des Gesetzes auszuschöpfen“ - nämlich lebenslange Haft. „Es hätte jeden von uns treffen können, der dem Täter auf der Praterstraße über den Weg gelaufen ist.“ Blaschitz meinte hingegen: „Ein einziger Stich in eine Körperregion muss kein Mordversuch sein.“ Zudem stellte er die Zurechnungsfähigkeit seines Mandanten infrage. Bei der Strafhöhe sei darauf Rücksicht zu nehmen, dass niemand ums Leben gekommen ist.