Geröllhalde sucht Opernzauber
Händels herrliche Barockoper „Alcina“ verödet im Theater an der Wien.
Von Stefan Musil
Wien –Am Schluss wird mit rotweißrotem Plastikband die Bühne abgesperrt. Menschen in Alltagkleidern spazieren herein. Der Zauber hat sich von Alcinas Liebesinsel verflüchtigt. Sie ist zur Baustelle verkommen. So scheint es zumindest die Regie zu meinen. Das Bild gilt dann aber wohl für den ganzen Abend. Die Barockoper ist eine Problemzone geworden, in der sich Regisseurin Tatjana Gürbaca bemüht, aber Händels Geniestreich voller toller Arien kaum in den Griff bekommt und ihn auf öder Bühne (Katrin Lea Tag) eher ideenlos und unsinnlich in den Sand setzt. Graue Steinhaufen drehen sich zwei Akte lang vor einem trüben Meeresrundhorizont im Kreis. Im dritten steht die Insel still. Gürbaca füllt diese Leere dann mit wenig überzeugenden bis lächerlichen Ideen. So regnet es immer wieder vom Bühnenhimmel und Alcinas Feldherr Oronte muss sich, um seinen Liebeskummer zu illustrieren, ein Gummiherz aus der Brust schneiden.
Mit Modellschiffchen hext Alcina am Anfang einen Schiffbruch herbei und bringt das Spiel in Gang. Bradamante und ihr Begleiter Melisso werden auf ihre Insel gespült. Bradamante, als Mann verkleidet, sucht ihren Geliebten Ruggiero, der im Liebesbann Alcinas steht. Doch auf dem tristen Eiland wird kaum einer froh. Wie ein spätes Biedermeiermädchen, das den Blues hat, wandelt Alcina in rosa-grau-gestreifter Robe und mit Stoppellöckchen übers Geröll.
Marlis Petersen gestaltet ihre erste große Händel-Rolle. Intendant Roland Geyer muss sie allerdings ansagen, weil sie von einem Hexenschuss geplagt wird. Diese Einschränkung mag vielleicht auch ihren kapitalen Ausstieg in der Arie „Ma quando tornerai“ erklären. Dennoch gelingt Petersen mit den hellen lyrischen Qualitäten ihres Soprans die überzeugendste stimmliche Leistung des Abends. Die seltsamste liefert David Hansen als ihr Liebhaber Ruggiero ab. Sein Countertenor besitzt bis in die Mittellage hinein bescheidene Kraft, erst Richtung Sopranhöhen zeigt er schrille Power. Seine Arie „Sta nell’ ircana“ überlastet er dann mit so viel überzogenen hochtönigen Verzierungen, dass von Händel fast nichts mehr übrig bleibt. Bemüht brav liefert Katarina Bradic´ mit ihrem Alt die Koloraturen der Bradamante ab. Als viel zu leichtgewichtig für die Rolle der Morgana, Alcinas Schwester, erweist sich der zart-soubrettige Sopran von Mirella Hagen. Rainer Trost ist ein guter Oronte, Florian Köfler reiht sich unauffällig als Melisso ein, der St. Florianer Sängerknabe Christian Ziemski schenkt dem Oberto seinen hübschen Knabensopran und der Arnold Schoenberg Chor entledigt sich gewohnt souverän seiner diesmal kleinen Aufgabe.
Unter Stefan Gottfried spielt der Concentus Musicus Wien auf seinen alten Instrumenten im Graben. Es wurde hörbar gewissenhaft einstudiert, wird sauber gespielt. Für einen ausgewachsenen Musiktheaterabend fehlt es aber dann doch an Drive und Spannung.