Streit um Maaßen: Was die deutschen Sozialdemokraten umtreibt
Berlin (APA/dpa) - Beim Konflikt um Deutschlands Geheimdienstchef Maaßen geht es den Sozialdemokraten nicht nur um einen Behördenleiter, son...
Berlin (APA/dpa) - Beim Konflikt um Deutschlands Geheimdienstchef Maaßen geht es den Sozialdemokraten nicht nur um einen Behördenleiter, sondern um Grundsätzliches. Dass die Parteispitze der SPD dafür sogar den Koalitionsbruch riskiert, hat aber auch noch einen anderen Grund.
Was für eine Woche. Im deutschen Parlament werden Parallelen zur dunkelsten Epoche der deutschen Geschichte gezogen, zum Nationalsozialismus. Der Schatten von Chemnitz, die Folgen der Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel und der Konflikt um Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen dominieren alles.
Es ist etwas ins Rutschen gekommen. Und die SPD geht volles Risiko ein. Was da gerade bei der Partei passiert, hat zwei Ebenen. Zum einen das Rumoren in der Partei, weil die Umfragen schlecht sind und man schon beim Asylkompromiss im Juni gezwungen war, Kröten zu schlucken. Dass Juso-Chef Kevin Kühnert und die Parteilinke Treiber der Forderung an Merkel waren, für den Rauswurf Maaßens zu sorgen, zeigt auch die Schwäche von SPD-Chefin Andrea Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz.
Am kommenden Dienstag könnte es im Kanzleramt in Berlin zur Entscheidung kommen, beim Treffen von Merkel (CDU), Nahles und Innenminister Horst Seehofer (CSU), der als Dienstherr Maaßens ihm mehrfach das Vertrauen ausgesprochen hat.
Merkel ist überzeugt, die Koalition wird daran nicht zerbrechen - aber bei der SPD schaukelt sich da gerade etwas hoch. Denn zweitens hat das, was gerade passiert, auch etwas mit der eigenen Geschichte zu tun, mit dem Kampf gegen Faschismus. Auf wenig ist die SPD so stolz wie auf das Nein der damaligen SPD-Abgeordneten um Otto Wels zu Adolf Hitlers Ermächtigungsgesetz. Maaßen trauen sie nicht mehr. Kann er die demokratische Grundordnung in Zeiten der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) und Rechtsextremismus ausreichend schützen? In Chemnitz wurden auch SPD-Leute eigenen Angaben zufolge angegriffen und Fahnen zerstört.
Scholz sagt zum Fall Maaßen unter anderem, wer Verantwortung für einen der großen Sicherheitsdienste trage, müsse „sich auch immer wieder selbst hinterfragen“. Aber hat Scholz sich auch selbst ausreichend hinterfragt, als beim G-20-Gipfel linke Chaoten ganze Straßenzüge verwüsteten - und der damalige Hamburger Bürgermeister in der Elbphilharmonie saß und keine Konsequenzen zog?
„Es hat natürlich auch Druck aus der Partei heraus gegeben“, sagt Kühnert zur Forderung, Maaßen zu entlassen. Bisher wagte die SPD nicht die Machtfrage, weil sie Neuwahlen noch mehr fürchtet als ein „Weiter so“ in der Großen Koalition mit CDU/CSU. Aber angesichts des fragilen Regierungsbündnisses fragen viele Mitglieder: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende?
Kühnert ist auf allen Kanälen. Er kann gut reden und ist das Gesicht der GroKo-Gegner - aus seiner Sicht geht es nicht nur um die Person Maaßen. „Was erleben wir im Moment? Einen Rechtsruck“, sagt der 29-Jährige. Der Hitlergruß werde gezeigt, Innenminister Seehofer sage, die Migration sei Wurzel aller politischen Probleme.
„Und die Kanzlerin, die die Richtlinienkompetenz hat, sagt dazu nichts.“ Maaßen agitiere politisch. „Er sagt, es hätte keine Hetzjagden in Chemnitz gegeben. Dabei hätte er sich nur die Protokolle der Chemnitzer Polizei ansehen müssen.“ Kühnert warnt vor einem Abstumpfen. „Sonst endet der demokratische Rechtsstaat wie der Frosch im Kochtopf, der bei langsam steigender Wassertemperatur gar nicht merkt, dass er stirbt“, sagte er dem „Spiegel“.
Anno 2018 giften sich im Parlament besonders SPD und AfD an. Da ist die Wutrede von Ex-SPD-Chef Martin Schulz: Die AfD benutze Mittel des Faschismus. AfD-Chef Alexander Gauland gehöre auf den „Misthaufen der deutschen Geschichte“. Der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs sagt: „Rechtsradikale in diesem Parlament sind unappetitlich. Hass macht hässlich, schauen Sie in den Spiegel.“ Die AfD-Abgeordneten verlassen empört der Saal.
Am Freitag, zum Ende dieser bemerkenswerten Sitzungswoche, keilt der AfD-Abgeordnete Kay Gottschalk zurück: „Wer hier schon längst auf den Misthaufen der Geschichte gehört, das sind Sie, Herr Kahrs.“ Der SPD wirft er wegen der Forderung, Maaßen abzusetzen, ein Streben nach „Gleichschaltung“ vor. Sollte der Verfassungschef fallen, dürfte von einigen eine andere historische Parallele gezogen werden: dass Maaßen per Dolchstoß vom alten System zur Strecke gebracht worden sei.