Die Causa Maaßen - Misstrauen in Koalition in Deutschland sitzt tief
Berlin (APA/Reuters) - Eigentlich hatte die Große Koalition in Deutschland vorgehabt, im Herbst mit einem Feuerwerk an Reformen zu glänzen. ...
Berlin (APA/Reuters) - Eigentlich hatte die Große Koalition in Deutschland vorgehabt, im Herbst mit einem Feuerwerk an Reformen zu glänzen. Aber am Freitag musste Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Besuch in Litauen sogar betonen, dass diese Regierung nicht am Schicksal „eines Präsidenten einer nachgeordneten Behörde“ zerbrechen werde.
Ein am Donnerstagnachmittag eilig einberufenes Krisentreffen der drei Parteichefs von CDU, CSU und SPD hatte den ausufernden Streit über Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen kanalisieren müssen. Aber das Ergebnis war lediglich, dass man sich am Dienstag erneut treffen will.
Der Grund: Der Streit über die Zukunft des deutschen Geheimdienstchefs scheint ohne Gesichtsverlust kaum lösbar zu sein. Denn die SPD kann nach ihrer Forderung der Entlassung Maaßens ohne dessen Kopf kaum zur Tagesordnung zurückkehren. CSU-Chef Horst Seehofer wiederum hat Maaßen noch am Donnerstag ausdrücklich in Schutz genommen - und ließ dies am Freitag wiederholen. Die Vertagung auf Dienstag, so wird in Koalitionskreisen auch am Freitag betont, könne deshalb auch so gedeutet werden, dass man nun gemeinsam auf einen freiwilligen Rückzug Maaßens hoffe. Diesem müsse klar werden, dass er bei den meisten politischen Akteuren das Vertrauen verspielt habe.
Die Lage in der Koalition bleibt kompliziert: Formal fällt Maaßen in den Zuständigkeitsbereich von Innenminister Seehofer. Bleiben er und Maaßen stur, kann die Bundeskanzlerin Maaßens Rücktritt nur fordern und durchsetzen, wenn sie die erneute Gefahr einer Spaltung der Unionsparteien eingeht. Das scheint einen Tage vor einem CSU-Parteitag und vier Wochen vor der bayerischen Landtagswahl wenig ratsam, zumal die CSU wegen miserabler Umfragewerte ohnehin bereits Schuldige für das erwartete Wahldebakel sucht. Obwohl es nach Informationen von Reuters auch bei vielen CDU-Politikern wegen Maaßens Äußerungen nach den Ausschreitungen in Chemnitz erhebliche Kritik an dem Beamten gibt, wagt sich deshalb damit niemand aus der Deckung.
Im Gegenteil: Der innenpolitische Sprecher der Union, Mathias Middelberg, unterstützte den obersten Verfassungsschützer auch am Freitag. „Er hat Kritik verdient, hat diese aber auch akzeptiert. Der Vorgang insgesamt bleibt zu wenig gewichtig, um seine Entlassung zu begründen“, sagte Middelberg zu Reuters.
Dazu kommt ein taktisches Dilemma der Union: Eine Entlassung Maaßens würde zwar die Risse Union und SPD wieder notdürftig kitten. Aber den Streit in der Union über die Flüchtlingspolitik würde es weiter befeuern. Genüsslich mutmaßte der AfD-Politiker Gottfried Curio bereits am Donnerstag, mit einer Entlassung Maaßens würde der Verfassungsschutz entmündigt - nur weil dieser kritisch zur Flüchtlingspolitik stehe. Dieser Argwohn sitzt auch am konservativen Rand der Union sehr tief.
Die Grünen-Politikerin Irene Mihalic wundert dies nicht. „Es ist kein Geheimnis, dass sich einige Chefs der Sicherheitsbehörden wie Maaßen oder Bundespolizei-Chef Dieter Romann 2015 über den verpassten Maulkorb des Kanzleramtes beim Flüchtlingsthema geärgert hatten“, sagte sie am Donnerstag. Tatsächlich hatten Romann, Maaßen, aber eben auch Seehofer damals zunächst kein Blatt vor den Mund genommen, dass sie ihre Behörden oder das Land durch die große Anzahl plötzlich ankommender Flüchtlinge und Migranten überfordert sahen. Dazu passt, dass es ausgerechnet am Donnerstag zu einem Treffen der Chefs der Sicherheitsbehörden mit Seehofer gab - das laut Innenministerium seit langem geplant war. Maaßen selbst sieht sich längst als Opfer eine Kampagne gegen ihn.
Es gibt aber auch die entgegengesetzte Vermutung - nämlich die einer konzertierten Aktion konservativer Kreise gegen die Kanzlerin. Immerhin wird in Teilen der CDU und der SPD darauf verwiesen, das seit Monaten stets Seehofer im Zentrum des Streits stehe: Er hatte vor dem Sommer die Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze gefordert; er hatte nach den rechten Ausschreitungen in Chemnitz gesagt, die Migrationsfrage sei die „Mutter aller politischen Probleme“; und er springt nun Maaßen bei.
Grünen-Politikerin Mihalic sieht deshalb zumindest eine Verbindung der Männer im Geiste: „Es gab und gibt seit 2015 eine inhaltliche Nähe zu CSU-Chef Seehofer, der immerhin von einer ‚Herrschaft des Unrechts‘ gesprochen hatte“, sagt sie. „Mit der Ernennung Seehofers zum Bundesinnenminister scheinen die Gegner von Merkels Flüchtlingspolitik in den Sicherheitsbehörden aus der Deckung zu kommen und Aufwind zu wittern.“ Verwiesen wird auch von anderen darauf, dass sich seither Vorfälle wie die umstrittene Abschiebung von Sami A. nach Tunesien, die medial begleitete Rückholung von Ali B. aus dem Nordirak oder eben auch öffentliche Äußerungen etwa von Maaßen häuften.