Ewiges Dilemma: „Der gute Mensch von Sezuan“ am Landestheater NÖ
St. Pölten (APA) - „Etwas muss falsch sein an eurer Welt!“ Wer wollte heute diese Erkenntnis von Shen Te nicht unterschreiben? Wir wissen, d...
St. Pölten (APA) - „Etwas muss falsch sein an eurer Welt!“ Wer wollte heute diese Erkenntnis von Shen Te nicht unterschreiben? Wir wissen, dass wir gerade dabei sind, unsere Welt an die Wand zu fahren. „Der gute Mensch von Sezuan“, dessen Dilemma Brecht 1943 auf den Punkt gebracht hat, scheitert weiterhin. Peter Wittenberg hat den modernen Klassiker zur Saisoneröffnung in St. Pölten betont zeitlos inszeniert.
Auf der Bühne von Sascha Gross herrscht nahezu Dauerregen. Ein trockenes Plätzchen gibt es nur in dem angedeuteten Tabakladen, der für Shen Te im buchstäblichen Sinn ein Geschenk der Götter ist. Und schon drängen sich in ihm weitläufige Verwandte und flüchtige Bekannte auf engstem Raum. Shen Te hat ein großes Herz und kann nicht Nein sagen. Doch die Guten werden in unserer unsolidarischen, auf Egoismus aufgebauten Welt nur nach Strich und Faden ausgenützt. Um zu überleben, erfindet sie einen hartherzigen, doch geschäftstüchtigen Vetter, Shui Ta.
Peter Wittenbergs Inszenierung, die mit E-Gitarre (Bernhard Moshammer) und gelegentlichem Chor-Einsatz Paul Dessaus Musik zu integrieren versucht, merkt man das 21. Jahrhundert nicht an. Aktualitäten und Zeitbezüge zu diskutieren überlässt er dem Programmheft. Auf der anderen Seite verzichtet er auch darauf, das Parabelhafte und Lehrstückmäßige zu betonen. Ohne Mut zu Abstraktion wird der fast zweieinhalbstündige Abend keine Nachschulung in politischer Bildung, sondern traditionelles Schauspiel mit humanistischer Botschaft. Dadurch fehlt ihm genau wie Shen Te jene Härte, die es für den Überlebenskampf braucht.
Immerhin sieht man der 23-jährigen Lili Epply, die schon in „James Bond 007: Spectre“ eine Mini-Rolle bekleiden durfte, gerne zu, wie sie diesen Kampf mittels Persönlichkeitsspaltung führt, auch wenn ihr steter Wechsel zwischen Elfenkleid und Hosenrolle allzu märchenhaft gerät (Kostüme: Cedric Mpaka). Tim Breyvogel als Wasserverkäufer Wang macht ebenso eine gute Figur wie Stefano Bernardin als fieser Flieger oder Josephine Bloéb als aufdringliche Schwägerin. Tobias Artner, Bettina Kerl und Tobias Voigt springen in zahlreiche Rollen und zeigen als die drei „Erleuchteten“, dass auch die Götter ratlos sind.
Und so wurden die Premierenbesucher am Samstagabend mit schwierigen Fragen entlassen: Braucht es andere Götter? Andere Menschen? Eine andere Welt? Auch auf dem Hauptplatz von Sankt Pölten, wo mit Musik und Kulinarik ein fröhliches Fest der Begegnung der Kulturen gefeiert wurde, war man bereits beim Zusammenpacken. Die Arbeit an der Rettung der Welt bleibt wie die Arbeit am ästhetisch wie inhaltlich gleichermaßen überzeugenden Theater weiter eine Herausforderung.
(S E R V I C E - „Der gute Mensch von Sezuan“ von Bertolt Brecht, Regie: Peter Wittenberg. Bühne: Sascha Gross, Kostüme: Cedric Mpaka. Landestheater NÖ. Die Produktion steht bis 15.12. auf dem Spielplan. www.landestheater.net. Am 20. und 21.11. Gastspiel an der Bühne Baden. www.buehnebaden.at)
(B I L D A V I S O – Pressebilder stehen unter https://celum.noeku.at/pindownload/login.do?pin=5K9O5 zum Download bereit.)