Bezirk Landeck

Als ein ganzes Dorf einem Stausee geopfert wurde

Der Kirchturm von Graun ist zum beliebten Fotomotiv geworden. 1950 wurde das Dorf geflutet.
© Böhm

In „Das versunkene Dorf“ erinnern zwei Filmemacher an das Schicksal der Siedlungen, die im Reschenstausee verschwunden sind.

Von Matthias Reichle

Graun, Reschen – „Alles ist untergegangen, gar alles. Alles, was wir gewöhnt waren, ist verschwunden“, sagt ein Zeitzeuge und ehemaliger Bewohner des Dorfes Graun im Film. Vor 68 Jahren versank es wie große Teile von Reschen im Wasser – gleich hinter der Grenze wurden 523 Hektar zum Zweck der Energiegewinnung aufgestaut. Heute ist von der damaligen Siedlung nur noch der Grauner Kirchturm sichtbar, der aus dem Wasser herausragt – und zum beliebten Fotomotiv geworden ist.

„Der Turm ist Teil unserer gelebten Realität, wir nehmen ihn gar nicht mehr wahr“, erklärt der Historiker Hansjörg Stecher. Nach drei Generationen wird der Reschensee heute zum Kitesurfen genutzt, es hat sich ein Segelclub gegründet und auf dem Wasser verkehrt das Ausflugsschiff MS Hubertus.

Mit den Zeitzeugen, die die Enteignungen und die Flutung ihres Zuhauses miterlebt haben, verschwinden auch nach und nach die Erinnerungen daran. „Wenn man die Bücher zum Thema aufschlägt, redet dort nirgendwo ein Mensch“, bemerkt Stecher, den die persönlichen Erlebnisse von damals interessieren. Gemeinsam mit dem Fotografen Georg Lembergh hat er über zwei Jahre an die 70 Zeitzeugen besucht und ihre Erinnerungen aufgezeichnet. Daraus ist die Dokumentation „Das versunkene Dorf“ entstanden, die an die Vorgänge erinnert. Demnächst wird der Film auch im Alten Kino Landeck gezeigt. „Wir sind Quereinsteiger. Ich interessiere mich für erzählte Geschichte“, bekennt Stecher. Wie auch Lembergh hat er Wurzeln in der Region.

Wolfgang Egg (r.) und Franz Tiefenbrunn (l.) vom Extrafilmklub zeigen „Das versunkene Dorf“ - ein Film von Hansjörg Stecher (M.)
© Reichle

In der Dokumentation wird erzählt, wie es den Bewohnern der versunkenen Orte ergangen ist. „Den Faschisten war wurscht, was mit den paar Häusern passiert“, sagt Stecher. Ein Betroffener erzählt etwa, dass man eine Lira pro enteignetem Quadratmeter bekommen habe. Die Mehrzahl der Familien verließ daraufhin die Gemeinden. „Die ersten zwei, drei Generationen haben den See als Fremdkörper betrachtet. Heute ist er ein prägender Teil der Landschaft geworden“, so Stecher.

Das Archiv der beiden Filmemacher ist ein Schatz, den sie auch in Zukunft gut hüten wollen. Den wahren Wert werde man schätzen, wenn in zehn bis 15 Jahren niemand mehr erzählen kann, sind sie überzeugt. Demnächst soll – als nächster Schritt – dem Film ein Buch folgen, das auf den Interviews fußt.

Der Landecker Extrafilmklub zeigt „Das versunkene Dorf“ am 3. und 4. Oktober jeweils um 18 und um 20 Uhr im Alten Kino Landeck.

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