Im Ausland zur Heimat finden
Der Unternehmer Antonio Dalle Nogare eröffnete am Wochenende den Schauraum seiner eben gegründeten Kunststiftung. Und will damit zu einem lebendigen Umgang mit Kunst anregen.
Von Barbara Unterthurner
Bozen –Was haben 120 Tonnen Marmorstaub, 1550 Rasierklingen und ein Hans Weber-Tyrol von 1940 gemeinsam? Auf den ersten Blick gar nicht so viel. Auf den zweiten – den in zeitgenössischen Ausstellungen so manches Mal der Begleittext liefert – schon mehr, erkennt man doch, dass alle diese Komponenten eng mit Südtirol und seiner Geschichte verwoben sind. Der weiße Marmorstaub kommt aus dem berühmten Laaser Marmorwerk, die Rasierklingen „Lama Bolzano“ aus dem Stahlwerk „Acciaiere di Bolzano“, gegründet im Zuge der Italianisierung 1935. Außerdem gibt es nicht umsonst etliche Südtiroler Motive von Weber-Tyrol – der Künstler hat seinerzeit in unterschiedlichen Orten südlich des Brenners gewohnt. Und gearbeitet.
Unaufgelöst bleibt noch, was diese Komponenten zusammenführt. Dazu braucht es einen Künstler aus dem Libanon, genauer Rayyane Tabet, der als artist in residence in Südtirol weilt. Noch genauer in der neu gegründeten Stiftung „Fondazione Antonio Dalle Nogare“ in Bozen.
Idyllisch gelegen in Hügeln zwischen Bozen und Jenesien versteckt sich die Stiftung inmitten von Weinbergen. Architekt Walter Angonese hat hier für den Bauunternehmer Antonio Dalle Nogare einen Traum wahrgemacht und ihm ein Haus gebaut, das nicht nur den Unternehmer selbst beherbergt, sondern auch dessen prestigeträchtige Sammlung, die er ab Mitte der Neunziger anlegte. Eine Kollektion, die immer wieder in kleinere Projekte involviert wurde. Dass jetzt eine Stiftung dazu gegründet wurde, war nach Angaben des Kunstsammlers weniger eine Öffnung der Sammlung, sondern vielmehr eine neue Initiative für die Gegenwartskunst. „Die Stiftung soll es Künstlern ermöglichen, nach Südtirol zu kommen und hier Arbeiten zu realisieren, die in Beziehung zum Land stehen; und Neues zu schaffen“, verrät Dalle Nogare auf Anfrage der TT.
So geschehen nun mit dem ersten Künstler Rayyane Tabet, der aus Beirut kommt. Für die neu gegründete Stiftung hat er zusammen mit Kurator Vicenzo de Bellis das Projekt „Fault Line“ entwickelt, das bis Juni 2019 im ebenso neu eröffneten Schauraum im Erdgeschoß des Prachtbaus zu sehen ist.
Eine weiße Landschaft aus Marmorstaub entfaltet sich hier, Boden und Wandfläche gehen sanft ineinander über. Gestört wird die Stimmung lediglich durch die mittig stehende Staffelei mit dem Aquarell von Hans Weber-Tyrol. So aufgestellt, dass der Zuseher erstmal die Mondlandschaft durchschreiten muss, um zu sehen, was die Staffelei präsentiert. Dann erst erkennt man die Referenz auf die Landschaft draußen, die dank des großen Fensters Teil der Ausstellung wird. Scharf durchschnitten wird der Raum durch das rundumlaufende Band an Rasierklingen, die in die Wand eindringen und den Horizont der künstlichen Landschaft bilden. Aus dem Libanon heraus lernte Tabet Südtirol kennen und fand Parallelen zur eigenen Heimat. So entstanden Bruchlinien, umgesetzt in eine Bild-Collage, atmosphärisch still und thematisch gewichtig.
Noch gewichtiger als die beeindruckende Schau des Libanesen ist nur, was darüber liegt. Geht der Ausstellungsraum doch in drei Sammlungsräume in den oberen Stockwerken über. Hier lässt es sich staunen über ikonische Werke der Minimalisten und Konzeptkünstler der Sechziger und Siebziger. „Am Anfang meiner Sammeltätigkeit stand die Tiroler Moderne, der Weber-Tyrol in der aktuellen Schau war eines meiner ersten Werke“, erklärt Dalle Nogare. „In New York lernte ich die Werke amerikanischer Minimalisten und viele Vertreter der Konzeptkunst kennen, sie haben den Traum in mir erweckt, ein Museum zu bauen“, so der Sammler weiter.
Was sich in fünfundzwanzig Jahren angesammelt hat, ist beträchtlich: Ein Döschen von Piero Manzonis „Artist’s Shit“ reiht sich an ein Lichtobjekt von Dan Flavin, während sich daneben eine feine Arbeit von Carl Andre auf dem Ausstellungsboden windet. Im nächsten Raum fasziniert eine Fotoarbeit von Giuseppe Penone, ebenso wie ein ikonischer Kippenberger, der fragt: „Was lacostet die Welt?“ Simpel gesagt: das Who’s who der internationalen jüngeren Kunstgeschichte, versteckt inmitten der Weinberge. In einer Stiftung, die erneut sinnbildlich für das klare Bekenntnis Südtirols zur zeitgenössischen Kunst steht.