„Stimmen“ - Allerletztes Buch von Wolfgang Herrndorf

Berlin (APA/dpa) - Als Wolfgang Herrndorf („Tschick“) aus dem Leben schied, gab es eine klare Vorgabe in seinem Testament: „Keine Fragmente ...

Berlin (APA/dpa) - Als Wolfgang Herrndorf („Tschick“) aus dem Leben schied, gab es eine klare Vorgabe in seinem Testament: „Keine Fragmente aufbewahren, niemals Fragmente veröffentlichen.“ Daran haben sich die Freunde gehalten, die jetzt, fünf Jahre nach dem Tod des Bestsellerautors, unter dem Titel „Stimmen“ noch einmal nachgelassene Texte herausbringen.

In einer Mischung aus Autobiografie und Fiktion sind es kleine, feinst geschliffene Prosastücke - manchmal tieftraurig, manchmal urkomisch, aber immer brillant. Und immer eine bittere Erinnerung daran, was die Leser mit Herrndorf verloren haben.

Für „Tschick“-Fans besonders vergnüglich dürfte die Geschichte sein, in der der Autor aus Verzweiflung über seinen kaputten Dauerfernseher das Auto eines Bekannten kurzschließt und sich auf eine Fahrt ins Nichts begibt.

Diesmal ist es kein Lada, sondern ein schrottiger Wartburg, und es geht nicht in den Osten, sondern ans Meer - aber sonst erinnert vieles an den hinreißenden Road Trip der Freunde Tschick und Maik, der Herrndorf 2010 nach seinem Erstling „In Plüschgewittern“ (2002) auf einen Schlag berühmt machte.

Rund drei Millionen Mal hat sich das Buch inzwischen verkauft, es ist in 36 Sprachen übersetzt. Und auch der gleichnamige Film von Fatih Akin wurde zu einem Publikumsliebling.

Andere Stücke in „Stimmen“ versammeln Kindheits- und Jugenderinnerungen, schildern - berührend und selbstironisch zugleich - das Lebensgefühl des jungen Autors im Berlin der Jahrtausendwende und setzen sich mit den Bedingungen und Herausforderungen des Schreibens auseinander. „Falls ich jemals etwas anderes als reine Fiktion schreiben sollte, erschießen Sie mich bitte“, notiert er einmal.

Den Löwenanteil des Buches machen - neben mehreren Gedichten - Beiträge aus, die Herrndorf laut Nachwort in den Jahren 2001 bis 2009 im Internetforum „Wir höflichen Paparazzi“ gepostet hatte - oft unter dem Pseudonym „Stimmen“, das jetzt dem Buch den Titel gab.

Zu diesem Zeitpunkt wusste der Autor noch nicht von seiner Krebserkrankung. 2010 war bei ihm ein unheilbarer Hirntumor entdeckt worden. Den Preis der Leipziger Buchmesse für seinen Roman „Sand“ konnte er 2012 schon nicht mehr persönlich entgegennehmen. Nach drei Operationen und einem letzten aussichtslosen Befund erschoss er sich mit 48 Jahren am Ufer des Berliner Hohenzollernkanals.

Über seinen Kampf gegen die Krankheit gab er in dem 2013 ebenfalls posthum veröffentlichten Tagebuch „Arbeit und Struktur“ Auskunft (www.wolfgang-herrndorf.de). Ein Jahr später erschien noch der Roman „Bilder deiner großen Liebe“ - das einzige unvollendete Werk, das mit seiner Zustimmung herauskommen durfte.

Einen großen, großen Rest hatte er noch zu Lebzeiten in einem Ordner „Unbesehen Löschen“ gespeichert. Nach Angaben der Herausgeber Marcus Gärtner und Cornelius Reiber hielten sich die Erben an diese Vorgabe. „Dieser Band“, schreiben sie deshalb unmissverständlich, „wird der letzte mit neuen Texten von Wolfgang Herrndorf sein.“

(S E R V I C E - Wolfgang Herrndorf, Stimmen, Verlag Rowohlt Berlin 2018, 192 Seiten, 18,50 Euro)