Internationale Pressestimmen zur Abwahl von Unionsfraktionschef
Berlin (APA/dpa) - Die überraschende Abwahl des deutschen Unionsfraktionschef und Vertrauten der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, Vo...
Berlin (APA/dpa) - Die überraschende Abwahl des deutschen Unionsfraktionschef und Vertrauten der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, Volker Kauder, war am Mittwoch Inhalt zahlreicher internationaler Pressekommentare:
„Times“ (London):
„Angela Merkels Autorität ist durch einen Überfall aus den Reihen ihrer eigenen Partei schwer beschädigt worden. Mehr als die Hälfte ihrer Abgeordneten im Parlament haben sich gestern entschlossen, ihre ‚rechte Hand‘ zu entthronen. Die Bundeskanzlerin hat damit praktisch eine Vertrauensabstimmung hinsichtlich ihrer Führung verloren, nachdem die öffentliche Unterstützung für ihre CDU auf den tiefsten Stand seit ihrer Gründung 1945 gesunken war. Der überraschende Angriff stürzte Volker Kauder, den Fraktionschef von CDU und CSU, nach einer 13 Jahre währenden Herrschaft. Es war die erst dritte derartige Kampfansage in der 73-jährigen Geschichte dieser konservativen Allianz, und sie wurde von der Opposition als erster Akt der Merkeldämmerung bejubelt.“
„Neue Zürcher Zeitung“:
„Später einmal, wenn Angela Merkel nicht mehr Kanzlerin ist, wird man sich an diesen 25. September 2018 erinnern: als Tag, an dem die Abgeordneten von CDU und CSU der Frau ihre Gefolgschaft aufgekündigt haben und einen von Merkels engsten Vertrauten fallen ließen. Wie viel Zeit zwischen diesem Datum und dem tatsächlichen Ende der Ära Merkel liegen wird, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Aber das Ende ist in Sicht. (...)
Ihre oft als pragmatisch bezeichnete, in Wahrheit aber von der veröffentlichten Meinung mal hierhin, mal dorthin und zu oft nach links getriebene Politik hat eine Partei rechts von der CDU groß werden lassen, die sich anschickt, die politische Kultur des Landes nachhaltig zu beschädigen. In den ostdeutschen Bundesländern Brandenburg, Sachsen und Thüringen wird im Herbst 2019 gewählt. Wenn Merkel der CDU erlaubt, sich vorher von ihr zu emanzipieren und sich neu zu positionieren, dann könnte die AfD auf ihrem Weg zur Volkspartei noch gestoppt werden. Es wäre ein mächtiges Zeichen der einstmals mächtigsten Frau der Welt.“
„Tages-Anzeiger“ (Zürich):
„Merkel hatte zuletzt selbst gespürt, wie heikel die Abstimmung werden könnte. Noch am Vortag hatte sie in einem für sie außergewöhnlichen Schritt Fehler beim Umgang mit Hans-Georg Maaßen zugegeben, dem umstrittenen Chef des Verfassungsschutzes, und eine künftig wieder bessere Arbeit der Koalition versprochen. Die Demutsgeste sollte auch bei den eigenen Abgeordneten den Ärger über das desaströse Bild besänftigen, das die von ihr geführte Regierung in den letzten Monaten abgegeben hatte. Am Ende nutzte es nichts. Der Autoritätsverlust von Merkel (und Seehofer) schreitet in immer schnellerem Tempo voran. Im Oktober werden bei den Landtagswahlen in Bayern und in Hessen schwere Verluste für CSU und CDU erwartet. Im Dezember steht Merkels Wiederwahl als Vorsitzende der CDU an. Auf die traditionelle Disziplin ihrer Partei kann die Kanzlerin in der Spätphase ihrer Herrschaft offenkundig nicht mehr zählen.“
„NRC Handelsblad“ (Amsterdam, Online-Ausgabe, Dienstagabend):
„Mit dem Sturz von Kauder hat die Fraktion nicht nur gezeigt, dass sie sich unabhängiger von Merkel aufstellen will. Zugleich ließen die Abgeordneten erkennen, dass sie bereits in die Zukunft schauen wollen, in die Ära nach Merkel. Deren vierte Regierung ist ein halbes Jahr im Amt und versteht es immer noch nicht, den Eindruck von Selbstbewusstsein zu vermitteln. Nachdem die Koalition von CDU, CSU und SPD in einer äußerst schwierigen Regierungsbildung zustande kam, stand sie in den vergangenen drei Monaten bereits zwei Mal kurz vor dem Aus. (...) Gefährlicher als all diese Probleme ist für Merkel, dass eine Mehrheit der Fraktion offenbar nicht mehr davor zurückschreckt, selbst zu einem für sie besonders für unangenehmen Zeitpunkt eine kleine Palastrevolution zu entfesseln. Unter Brinkhaus dürfte sich die Bundestagsfraktion nicht mehr automatisch hinter die Regierung stellen.“