Internationale Presse zu BMI-Brief: „Traum jedes Despoten“
Die Zensur-Vorwürfe gegen das Innenministerium waren am Mittwoch neben einem Leitartikel in der „TT“ (siehe unten) auch Inhalt zahlreicher internationaler Medienkommentare. Eine Auswahl.
„Süddeutsche Zeitung“ (München): „Die Nachrichten aus Österreich zeigen wieder einmal, dass die Regierungspartei FPÖ am Abbau der liberalen, pluralistischen Demokratie arbeitet und die Grenzen des Machbaren weiter nach rechts verschiebt. In einer E-Mail aus dem FPÖ-geführten Innenministerium an die Polizei wird ‚vorgeschlagen‘, die Kommunikation mit ‚kritischen Medien‘ auf ‚das nötigste Maß‘ zu beschränken. Sexualdelikte soll die Polizei verstärkt kommunizieren, Staatsbürgerschaften Verdächtiger explizit nennen.
Auch wenn Kanzler Sebastian Kurz sich davon distanziert hat: Die FPÖ ist sein Koalitionspartner. Die E-Mail ist zudem nur der neueste Versuch, die politische Berichterstattung zu manipulieren. Seit Monaten steigt der Druck auf Journalisten. Die Entwicklungen sollten auch der EU zu denken geben. Was da in Österreich passiert, darf nicht als Randnotiz abgetan werden. Das Recht der Bevölkerung auf Information ist durch die Verfassung gewährleistet. Wer es untergräbt oder auch nur plant, die Presse weniger unabhängig zu machen, beschneidet die Demokratie.
Die EU darf nicht, wie in Ungarn, jahrelang wegschauen, bis sie den autoritären Tendenzen Einhalt gebietet. Denn wenn die Vorstellungen der FPÖ Normalität werden, hat das Auswirkungen über die Grenzen des Landes hinaus. Dann ist das liberale Europa in Gefahr.“
„Frankfurter Neue Presse“: „Der österreichische Innenminister Herbert Kickl wünscht sich zum Beispiel einen Staat, der direkten Einfluss auf die Berichterstattung von Medien nimmt. Mit kritischen Medien solle die Kommunikation auf das nötigste Maß beschränkt werden, schriebt Kickls Innenministerium an die Polizeidirektionen in ganz Österreich. Nur wenn eine positive Berichterstattung zu erwarten sei, könnten die Medien ‚Zuckerln‘ erwarten. Als Musterbeispiel nennt das Ministerium eine Fernseh-Sendung, die von der Regierung vorab geprüft wurde. Kickls Konzept wäre der Traum jedes Despoten, für jeden Demokraten muss es ein Alptraum sein.“
„Die Welt“ (Berlin): „Das Innenministerium suchte sein Heil derweil darin, die Schuld komplett auf den 29-jährigen Ressortsprecher Pölzl zu schieben, der einst auch Pressesprecher der Landespolizeidirektion Wien war. Zwar halten Kenner der Parteienlandschaft Innenminister Kickl für den heimlichen Kommunikationsstrategen der FPÖ, ja sogar das eigentliche Mastermind der Partei. Doch in der Causa der Pölzl-Mail heißt es ausdrücklich, es handele sich dabei weder um eine Weisung noch um ein Schreiben, das im Auftrag oder auch nur im Wissen des Innenministers oder seines Kabinetts verfasst wurde.
Die Mail aus dem Innenministerium ist nicht der erste Fall, in dem Kickls Behörde mit demokratisch bedenklichem Vorgehen auffällt. Vor wenigen Monaten wurde eine Razzia beim Amt des Verfassungsschutzes angeordnet, bei der Informationen über laufende Ermittlungen gegen rechte Kreise entwendet wurden. Auch hier weist Kickl die Verantwortung von sich. Im Parlament tagt ein Untersuchungsausschuss dazu.
„Abendzeitung“ (München): „Der österreichische Kanzler hat die Info-Sperre des Innenministeriums kritisiert. ‚Jede Einschränkung von Pressefreiheit ist nicht akzeptabel‘, so Sebastian Kurz. ‚Die Ausgrenzung oder der Boykott von ausgewählten Medien darf in Österreich nicht stattfinden.‘ Dabei könnte es sich um Arbeitsteilung handeln: Kurz beschwichtigt, Kickl heizt an. Die Regierung unterstützt rechtsextremistische Blätter durch die Schaltung von Anzeigen. Erst am Wochenende erschien in mehreren Blättern eine Seite mit Tipps aus dem Innenministerium, wie sich die Bevölkerung sich im Falle eines Terroranschlags oder eines Amoklaufs verhalten solle. Kritiker sehen darin den Versuch, Ängste zu schüren.“
„Dolomiten“ (Bozen): „Faktum ist aber: Unter seiner Bundeskanzlerschaft ist die Medienarbeit rigider geworden. Ein enger Stab an Mitarbeitern gibt vor, was Thema für die Medien ist und was nicht – die sogenannte ‚message control‘ ist Usus geworden, abgesprochene Worthülsen und Erklärungen stehen an der Tagesordnung. Das kann man mögen oder auch nicht, das ist legitim. Und Medien können dennoch auf eigene Faust andere Themen zum Thema machen. Aber der Ausschluss von Medien aus der Informationspolitik, das hat es in Österreich in dieser, schwarz auf weiß festgehaltenen Form noch nie gegeben. Und es erinnert in der Tat an die Einstellung, die Diktatoren oder Regierungschefs à la Viktor Orban gegenüber der freien Presse haben.
“Il Fatto Quotidiano“ (Rom): „Kanzler Kurz stoppt den Maulkorb, den die ultrarechte FPÖ kritischen Medien in Österreich aufsetzen will. Kurz distanziert sich von seinem Innenminister, doch die Opposition verlangt Kickls Ausschluss aus der Regierung. Der Minister ist einer der starken Männer der Regierung. 13 Jahre lang war er bis Jänner FPÖ-Sekretär“.
Hände weg von der Pressefreiheit!
Leitartikel von TT-Chefredakteur Alois Vahrner (Mittwochausgabe)
Nein, es gebe keine Informationssperre für Medien. Und nein, das aus dem Innenministerium verschickte E-Mail an verschiedene Polizeidienststellen, die Kommunikation mit einigen als missliebig beurteilten Zeitungen auf das nötigste Maß zu reduzieren, sei nicht im Auftrag oder Wissen des Ministers oder seines Kabinetts verfasst worden. Auch wenn gestern fieberhaft versucht wurde, zu beschwichtigen und den vorerst auf Tauchstation gegangenen Innenminister aus der Schusslinie zu nehmen: Kickl, der ja nebenbei auch bei der BVT-Affäre unter Beschuss steht, hat jetzt viel Erklärungsbedarf. Und er wird, so er denn selbst in seinem Amt verbleiben und die türkis-blaue Koalition nicht in eine erste Krise stürzen will, für klare Fronten sorgen müssen — sprich glasklare Distanzierung von diesem Schreiben und personelle Konsequenzen für den oder die Urheber, so Kickl selbst wirklich nichts davon gewusst haben sollte.
Die Pressefreiheit gehört wie die Meinungsfreiheit zu den unumstößlichen Eckpfeilern der Demokratie. Gerade auch Österreich muss mit Blick auf die eigene Vergangenheit besonders gut darauf aufpassen. Es wäre nicht tragbar, dass politische Verantwortungsträger, welcher Partei auch immer, daran zu rütteln beginnen. Wehret den Anfängen, kann es da nur heißen! Die Medien sind dazu da, der Politik im Sinne der Bevölkerung auf die Finger zu schauen. Und dazu braucht es umfassende Informationen gerade auch aus den öffentlichen Stellen, die ja mit Steuergeld finanziert werden. Umso erfreulicher ist die sehr prompte Reaktion auch von Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Bundeskanzler Sebastian Kurz, der hier ohne Rücksicht auf möglicherweise drohenden Ärger mit dem Koalitionspartner klare Worte fand.
Nicht nur die Medien sind im Übrigen dazu da, gewissenhaft und verantwortungsvoll mit ihrer Aufgabe umzugehen, sondern gerade auch die Politik. Und da ist auch der zweite Punkt in dem Ministeriums-E-Mail fragwürdig: So sollen bei der polizeilichen Medienarbeit Sexualdelikte, die in der Öffentlichkeit begangen werden, offensiver kommuniziert und der Fokus stärker in Richtung Ausländerkriminalität gerichtet werden. Auch hier ist eine gewertete Information strikt abzulehnen, was kriminelle Taten von In- oder Ausländern betrifft. Innenministerium und Polizei sind dazu da und aufgerufen, objektiv, sachlich und umfassend zu informieren und aufzuklären, aber sicher nicht, um auf Ministeriums-Befehl die Bevölkerung einseitig aufzuwiegeln.