Prozess in Graz: Stiefmutter schlug Buben über ein Jahrzehnt

Graz (APA) - Eine 51-jährige Steirerin hat sich am Mittwoch im Grazer Straflandesgericht wegen massiver Gewalt gegenüber ihrem Stiefsohn übe...

Graz (APA) - Eine 51-jährige Steirerin hat sich am Mittwoch im Grazer Straflandesgericht wegen massiver Gewalt gegenüber ihrem Stiefsohn über einen Zeitraum von mehr als einem Jahrzehnt verantworten müssen. Die Beschuldigte gestand wenig, der mittlerweile 24-jährige Mann erinnerte sich an tägliche Schläge, teils mit Besenstiel, Rohren oder einem Jausenbrett auf den Kopf. Die Verhandlung wurde vertagt.

Die Staatsanwaltschaft wirft der Frau das körperliche sowie seelische Quälen ihres Stiefsohnes vor, der ab seinem vierten Lebensjahr zusammen mit seinem Vater bei der Beschuldigten lebte. Erst als der Bub 14 Jahre alt war, das war 2008, vertraute er sich zum ersten Mal der Schuldirektorin an und schilderte ein paar weniger drastische Angriffe auf ihn. Die Jugendwohlfahrt schaltete sich damals ein, er kam zwei Wochen zu Pflegeeltern, dann verbrachte er noch etwa ein Monat mit seinem Vater und seinem Bruder in einem anderen Haus. Dann zogen sie aber wieder zurück zur heute 51-Jährigen.

Die Angeklagte sagte gegenüber Richter Oliver Graf, sie fühle sich nicht schuldig. Es stimme aber, dass sie ihrem Stiefsohn ein bis zwei Ohrfeigen pro Monat versetzt oder ihn an den Haaren oder Ohren gezogen hätte, „wenn er nicht folgte, zurückredete oder schlimm war“. „Meinen Sie, man darf das tun?“, fragte der Richter. „Normal nicht, aber ich habe es gemacht. Ich glaube, das passiert jedem Elternteil einmal.“ „Also ich bin nicht geschlagen worden“, sagte der Richter harsch.

Anschließend versuchte die Beschuldigte mit kurzen und leisen Antworten zu erklären, warum sie dem Buben die Ohrfeigen verpasst hatte. Als der Richter die gravierenderen Vorwürfe aufzählte, leugnete die 51-Jährige alles. „Haben Sie ihm mit dem Jausenbrett auf den Kopf geschlagen, sodass er blutete?“, „Haben Sie ihn im Tankraum eingesperrt?“, „Hat er Erbrochenes essen müssen?“, „Haben Sie ihn geschlagen, weil seine Hände gezittert haben?“ „Haben Sie ihn gezwungen, auf eine heiße Herdplatte zu greifen, wodurch er Brandblasen erlitt?“, „Haben Sie seinen Kopf ins Klo gesteckt?“, fragte Graf. Stets wies die Angeklagte die Vorwürfe zurück und redete sich auf den Buben aus, der selbst gestürzt sei oder auf den Herd gegriffen habe: „Das ist alles nicht wahr.“ Sie vermutete, dass er ihr die Schuld geben will, weil er viel Alkohol trank und Autounfälle verursacht habe.

Der Stiefsohn schilderte anschließend mit klaren Details und gefasster Stimme, was ihm in seiner Kindheit bei seiner Stiefmutter widerfahren sei: „Ohrfeigen waren an der Tagesordnung, an den Ohren und Haaren ziehen auch - Schläge mit dem Staubsaugerrohr, dem Besenstiel.“ Sie soll ihn unter anderem mit „Krüppel“ angeschrien haben. „Schockmomente waren etwa das mit den Zähnen: In der Schule wurde mir aufgetragen, dass ich den Buchstaben R aussprechen üben soll. Bei der Autofahrt grölte sie mit mir, ich soll das R sagen, das sei ja nicht so schwer. Als wir dann ausstiegen und sie die Schiebetür öffnete, nahm sie eine blaue Kinderspielzeugschaufel aus Eisen und schlug mir damit auf den Mund. Ich blutete und Zahnstücke fielen mir raus. Ich war dann auch noch verantwortlich dafür, dass meine Schwester zu weinen begann.“

Er erzählte von einem anderen „Schockmoment“ mit einem runden Jausenbrett, das die Frau ihrem Stiefsohn auf den Kopf schlug, sodass es brach: „Dann zerrte sie mich in die Dusche und wusch mir das Blut mit eiskaltem Wasser ab.“ Im Spital musste er sagen, dass er über seine Schultasche gestolpert und auf einen Legostein gefallen sei. „Das Essen war das Schlimmste: Ich musste essen, auch wenn ich keinen Hunger hatte, sie sagte immer ‚beißen, beißen, schlucken‘. Einmal gab es Hendlbrust und Toastbrot dazu, es war trocken, ich konnte nicht mehr und sie schob es mir mit den Fingern in den Rachen. Als ich es in den Kompostkübel erbrach, musste ich es wieder herausholen und essen.“ Einmal habe sie ihn als Strafmaßnahme gezwungen auf die heiße Herdplatte zu greifen: „Dem Papa sollte ich sagen, dass ich so blöd war und raufgegriffen habe.“

Der 24-Jährige schilderte, wie sie seinen Kopf ins WC steckte, weil er nach seinem Geschäft nicht ordentlich hinuntergeputzt hatte. Nach zehn Jahren, dem Einschreiten des Jugendamtes und dem Aufenthalt bei der Pflegefamilie hätten die Übergriffe praktisch aufgehört. Nur einmal habe sie ihn noch geschlagen, und zwar mit der Faust ins Gesicht, weil er im Waschbecken die Zahnpasta nicht ordentlich weggeputzt hatte. Als sie auch seinen Kopf gegen das Waschbecken schlug, habe er sich zum ersten Mal gewehrt und sie gegen eine Tür gedrückt und geschupft. Vor dem Vater habe die 51-Jährige dann gesagt, dass der Sohn rabiat geworden sei und sie sich verteidigen musste.

Nach Jahren, in denen er versucht habe, sich mit Alkohol zu betäuben, wolle er nun seine Kindheit aufarbeiten. Er habe sich seiner Freundin anvertraut, über das Gewaltschutzzentrum landete der Fall vor Gericht. Erst vor wenigen Monaten hatte der 24-Jährige eine stationäre Therapie in Anspruch genommen. Bei ihm wurde unter anderem eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert.

Trotz der massiven Vorwürfe blieb die Beschuldigte bei ihrer Version - selbst als der größere Bruder des 24-Jährigen, der ebenfalls eine Zeit lang bei der Frau im Haus lebte, die meisten der Angriffe bestätigte, weil er sie selbst mitbekommen hatte und einmal auch dazwischen ging. Er selbst sei von der Angeklagten aber verschont worden. „Es ist soviel passiert, ich habe vieles verdrängt. Sie war kalt zu ihm und er hatte Angst vor ihr. Sie war auch ein ganz anderer Mensch, sobald der Vater mit dem Firmenwagen nach Hause kam. Ich hatte den Eindruck, dass sie meinen Bruder nicht mag.“

Weitere Zeugen werden nun noch geladen. Außerdem soll ein psychiatrischer Gutachter hinzugezogen werden. Die Verhandlung wurde daher vertagt. Termin gab es vorerst keinen.