Kritik und Protest vor Erdogan-Besuch in Deutschland
Köln (APA/dpa) - Zwischen Hoffnung, Enttäuschung, Wut und Widerstand: Der Besuch des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan in De...
Köln (APA/dpa) - Zwischen Hoffnung, Enttäuschung, Wut und Widerstand: Der Besuch des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Deutschland von Donnerstag bis Samstag wühlt die tief gespaltene türkischstämmige Community auf. Ein großer Teil werde wohl erfreut sein „über den Beginn einer Normalisierung“, glaubt Haci Halil Uslucan, Leiter des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung.
„Kritiker sehen dagegen eine unnötig starke Huldigung und eine unausgesprochene Legitimation für Erdogans Politik“, fügte er hinzu. Erdogan wird den deutschen Präsidenten Frank-Walter Steinmeier und Kanzlerin Angela Merkel treffen, mit Top-Wirtschaftsleuten sprechen und bei einem Staatsbankett in illustrer Gesellschaft speisen.
In Berlin wie Köln wird ihm aber auch der Protest von Tausenden Demonstranten entgegenschlagen. Dass er am Samstag in der Domstadt die Zentralmoschee des arg umstrittenen Islamverbandes Ditib eröffnen will, finden manche schwer erträglich.
Der deutsch-türkische Journalist Hüseyin Topel spricht Klartext: Erdogan lasse sich „feiern, wie einst osmanische Sultane, die nach einem Eroberungsfeldzug schnell eine Moschee einweihten“. Deutschland lade einen Politiker ein, der von vielen als „Despot“ gefürchtet werde, sagt Topel.
Sein Kollege Günter Wallraff - von vielen Türken respektiert, seit er als vermeintlicher türkischer Arbeiter Ali für „Ganz Unten“ (1985) Missstände aufdeckte - wird noch deutlicher: „Man empfängt Erdogan hier wie einen Ehrenmann. Wenn man ihm den roten Teppich ausrollt, sollte man aber verdeutlichen, dass der blutgetränkt ist.“
Was will Erdogan? Noch vor gut einem Jahr hat er Merkel Nazi-Methoden vorgeworfen. Was ist von seiner Beteuerung zu halten, er wolle gute Beziehungen? „Natürlich wissen die meisten Türkischstämmigen, dass Erdogan sehr starke wirtschaftliche Interessen verfolgt und sich außenpolitisch nicht isolieren will“, sagt Wissenschafter Uslucan der Deutschen Presse-Agentur. Die Regierung werde sicher Druck machen für Rechtsstaatlichkeit, gegen Repressalien - aber „gesichtswahrend“ für Erdogan.
Wie kommt der Staatsbesuch wohl bei den Zehntausenden in der Türkei an, die seit dem Putschversuch vor zwei Jahren inhaftiert oder aus ihren Ämtern entfernt wurden oder die nach Deutschland flüchteten und um Asyl baten? „Welt“-Journalist Deniz Yücel, der ein Jahr in Istanbul hinter Gittern saß, spricht von „Verrat“. Die Regierung lade einen „Verbrecher“ ein, klagte er jüngst an.
Der im Exil lebende türkische Journalist Can Dündar will den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Merkel am Freitag mit Fragen zu inhaftierten Kollegen in der Türkei konfrontieren. „Ich will ihn fragen, warum er sagt, dass keine Journalisten in türkischen Gefängnissen sitzen, sondern Terroristen“, sagte der frühere Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung „Cumhuriyet“ der Deutschen Presse-Agentur.
Mehr als 40 deutsche und türkischstämmige Akademiker und Prominente mahnen in einer gemeinsamen Erklärung: „Erdogan treibt sein Land immer weiter in Richtung Diktatur.“ Natürlich wolle man gute Beziehungen, schreiben etwa Dogan Akhanli, Konstantin Wecker oder Redakteur Yücel Özdemir. Aber: „nicht unter diesen Umständen“, also einer „aggressiven antidemokratischen Politik“, Entlassungs- und Verhaftungswellen und gleichgeschalteten Medien, wie sie betonen.
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde schildert: „Die letzten zwei Jahre waren sehr schwer für uns als türkischstämmige Community. Der politische Streit zwischen Deutschland und der Türkei wurde auf unserem Rücken ausgetragen.“ Die Türkei müsse die Kritik nach Menschenrechtsverletzungen ernst nehmen und Weichen für die Errichtung eines Rechtsstaates stellen. Zugleich hofft Gökay Sofuoglu auf eine erste Annäherung. Er findet: „Alle Politiker mit Einfluss sind gut beraten, einen Beitrag in Richtung Entspannung zu leisten.“
Dass der türkische Präsident den größten Moscheekomplex in Deutschland eröffnet, lässt niemanden kalt. Journalist Topel glaubt, die massiv unter Druck stehende Ditib sei eine „Kopie“ der Religionsbehörde Diyanet in Ankara - und werde noch weiter an Ansehen verlieren. Integrationspolitikerin Serap Güler (CDU) sagt ähnlich im „Kölner Stadt-Anzeiger“: Die Ditib werde nun auch „ihre letzten Fürsprecher verlieren“.
Der Ditib-Bundesverband schottet sich zunehmend ab, reagiert auf Anfragen eher selten, bisher auch nicht zum Erdogan-Besuch. Dass der Präsident die Moschee eröffnen wolle, sei „reine Machtdemonstration“, findet Wallraff: „Die Ditib ist eine politische Bastion für Erdogan in Deutschland. Religion ist nur Tarnung.“
Auch Bülent Bilgi regt das Ganze auf - aber aus anderem Grund. Der Vorsitzende der Erdogan-nahen UID (vorher UETD) findet, Steinmeier oder Merkel sollten die Moschee zusammen mit Erdogan eröffnen. „Man hätte verbindende Worte finden können, dass der Islam und die Muslime zu Deutschland gehören“, sagt der Präsident der Organisation, die Lobbyarbeit für die türkische Regierungspartei AKP macht. Aber auch Merkel kommt nicht. Nicht in die Moschee, und - wie viele andere Spitzenpolitiker - ebenfalls nicht zum Berliner Staatsbankett.