Erdogan im Bellevue - Kritik seitens der deutschen Opposition

Istanbul/Berlin (APA/AFP) - Angesichts der anhaltenden Repression in der Türkei hält die deutsche Opposition das Format eines Staatsbesuchs ...

Istanbul/Berlin (APA/AFP) - Angesichts der anhaltenden Repression in der Türkei hält die deutsche Opposition das Format eines Staatsbesuchs für die Visite des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan für völlig verfehlt. Viele Politiker von Grünen, Linken und Liberalen sagten eine Teilnahme am Staatsbankett am Freitagabend ab.

Der frühere deutsche Grünen-Chef Cem Özdemir nahm die Einladung laut einem Medienbericht von Montag hingegen an. Zwar stehe außer Frage, dass Erdogan ein solches Staatsbankett nicht verdient habe, mit seiner Teilnahme erhoffe er sich aber, ein Signal sowohl in die Türkei als auch an die deutsch-türkische Gemeinschaft zu senden. Die Opposition gehöre zur Politik des Landes dazu, so Özdemir.

Bei dem Bankett werden Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) sowie Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) anwesend sein. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kommt hingegen nicht, doch trifft sie Erdogan zwei Mal, darunter zum Mittagessen.

Mit dem Staatsbesuch bei seinem wichtigsten Wirtschaftspartner will der türkische Präsident die Zeit des Streits und der Spannungen hinter sich lassen, doch auch aus Sicht der Regierung ist das deutsch-türkische Verhältnis noch weit von Normalität entfernt. Aus dem Umfeld von Präsident Frank-Walter Steinmeier, der Erdogan Freitagfrüh mit militärischen Ehren im Schloss Bellevue empfangen wird, verlautete, Erdogans „konfrontative Rhetorik ist nicht vergessen“.

Bis neues Vertrauen entstehe, sei es „noch ein weiter Weg“. Angesichts der 3,5 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschland sei das Verhältnis „einzigartig, aber nicht einfach“, hieß es.

Dieses Verhältnis hatte sich nach dem versuchten Staatsstreich von Juli 2016 deutlich eingetrübt. Erdogan warf Deutschland vor, nicht ausreichend Solidarität zu zeigen und nichts gegen die Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen zu unternehmen, den er für den Putschversuch verantwortlich macht. Berlin reagierte seinerseits zunehmend alarmiert, als Erdogan neben den Putschisten auch Zehntausende andere Regierungskritiker festnehmen ließ.

Steinmeier wolle die Gespräche mit Erdogan nun „respektvoll“, aber „mit der gebotenen Deutlichkeit“ angehen, hieß es aus seinem Umfeld. Insbesondere wolle er die anhaltende Inhaftierung von Deutschen, die schwierige Lage der Pressefreiheit und den Druck auf die Zivilgesellschaft ansprechen und auf eine Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit dringen. Die Hoffnung auf einen grundlegenden Kurswechsel sei aber begrenzt, hieß es.

Ein wichtiges Thema bei den Gesprächen von Merkel und Erdogan dürfte die Wirtschaftsmisere in der Türkei sein. Die Türkei kämpft mit einem dramatischen Verfall ihrer Währung und braucht dringend neue Investitionen. Erdogan kündigte an, sich bei dem Besuch für die Stärkung der Wirtschaftsbeziehungen einzusetzen. In Berlin will er nach seiner Landung am Donnerstagmittag türkischen Medienberichten zufolge zunächst mit Vertretern von Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen zusammenkommen.

Zwar wird Erdogan anders als bei früheren Besuchen keine Großkundgebung vor seinen Landsleuten halten, doch wird er am Samstagnachmittag die neue Zentralmoschee des Moscheeverbands Ditib in Köln-Ehrenfeld einweihen. Der Verband steht wegen seiner engen Verbindungen zur türkischen Regierung in der Kritik. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) lehnte eine Teilnahme an der Zeremonie ab.

Bereits im Vorfeld gab es Proteste geben Erdogans Besuch. Für Donnerstag, Freitag und Samstag sind nun in Berlin und Köln diverse Protestkundgebungen geplant. Allein bei einer von kurdischen und linken Gruppen organisierten Demonstration am Freitagnachmittag unter dem Motto „Erdogan not welcome“ erwarten die Initiatoren zehntausend Teilnehmer am Potsdamer Platz in Berlin. Die Polizei ist mit mehreren tausend Kräften im Einsatz.

Ebenfalls ein Thema bei dem Besuch wird Fußball sein, da die UEFA am Donnerstag entscheidet, ob die Europameisterschaft 2024 in der Türkei oder in Deutschland ausgetragen wird. Für die Türkei wäre es das erste große Sportereignis, doch überschattet die Menschenrechtslage die Bewerbung. Sollte sich der Europäische Fußballverband für Deutschland entscheiden, kann der begeisterte Fußballfan Erdogan zeigen, ob er ein guter Verlierer ist.