Deutsche Wirtschaftsforscher senken Konjunkturprognose
Berlin (APA/Reuters) - Die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute warnen vor einer schweren Rezession in Deutschland bei einem e...
Berlin (APA/Reuters) - Die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute warnen vor einer schweren Rezession in Deutschland bei einem eskalierenden Handelsstreit mit den Vereinigten Staaten. Außerdem senken sie in ihrem Gutachten die Wachstumsprognosen für die deutsche Wirtschaft. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) dürfte in diesem Jahr statt der noch im Frühling erwarteten 2,2 nur um 1,7 Prozent zulegen.
„Deutschland und Europa sind bisher zwar von dem von den USA ausgehenden Handelskonflikt weitgehend verschont geblieben“, schreiben die Experten in ihrem Herbstgutachten für die Bundesregierung, das morgen Donnerstag offiziell vorgestellt wird aber inzwischen einigen Medien vorliegt. Allerdings würde eine Eskalation des Konflikts die Wirtschaft in eine Krise stürzen. Vergeltungsmaßnahmen „dürften den Konjunktureinbruch in der EU abmildern und in den USA eine schwere Rezession auslösen“.
US-Präsident Donald Trump hat Sonderabgaben auf Autos aus der EU - den größten deutschen Exportschlager - ins Spiel gebracht. Derzeit verhandeln beide Seiten darüber, weshalb in dieser Frage eine Art Waffenstillstand herrscht. Gegen China hat Trump dagegen bereits im großen Stil Sonderzölle verhängt.
Die Studie trägt den Titel „Aufschwung verliert an Fahrt - Weltwirtschaftliches Klima wird rauer“. Für 2019 wird ein Plus von 1,9 (bisher: 2,0) Prozent vorausgesagt, für 2020 von 1,8 Prozent.
„Zum einen hat sich das Auslandsgeschäft im Einklang mit der Verlangsamung der Konjunktur in den wichtigsten deutschen Absatzmärkten abgeschwächt“, begründeten die Forscher ihre Prognosesenkungen. „Zum anderen sehen sich Unternehmen allem Anschein nach zunehmend produktionsseitigen Engpässen gegenüber, vor allem bei Arbeitskräften.“ Auch Probleme in der Autoindustrie bei der Umstellung auf den strengeren Abgasmesszyklus (WLTP) belasteten die Produktion derzeit.
Als Risiko sehen die Experten neben dem Handelsstreit auch den EU-Abschied Großbritannien. Dieser rücke näher, „ohne dass erkennbar ist, wie sich das künftige Verhältnis zwischen der Europäischen Union und Großbritannien gestaltet“. Weitere Risiken seien Zweifel an der finanzpolitischen Stabilität Italiens sowie die Krise in Schwellenländern wie der Türkei und Argentinien.
Trotz steigender Ausgaben rechnen die Institute in diesem Jahr mit einem Rekordüberschuss im Staatshaushalt von rund 54 Mrd. Euro. Dieser werde aber in den kommenden Jahren auf gut 40 Mrd. Euro schmelzen. Die Gutachter rechnen zudem mit einem anhaltenden Jobboom. 2020 soll es rund 45,6 Millionen Beschäftigte geben, etwa 1,3 Millionen mehr als im vergangenen Jahr. Zugleich soll die Arbeitslosenquote auf 4,5 Prozent fallen, nach 5,7 Prozent im vorigen Jahr.
Die Gemeinschaftsdiagnose soll offiziell am Donnerstag in Berlin vorgestellt werden. Sie dient der Bundesregierung als Basis für ihre eigene Prognosen. Diese rechnet bisher für das laufende Jahr mit einem BIP-Plus von 2,3 Prozent, für 2019 von 2,1 Prozent. Beteiligt an dem Gutachten sind das Münchner Ifo-Institut, das Berliner DIW, das Essener RWI, das Kieler IfW und das IWH Halle.
Im Kampf gegen Wohnungsnot raten sie dem Staat zur Senkung von Baukosten und zum Bereitstellen von Bauland. „Regulierungen verschaffen allenfalls kurzfristige Atempausen, und zusätzliche Investitionsanreize sind angesichts der Vielzahl von Investoren im Markt kaum notwendig.“ Es gehe in erster Linie um die rechtzeitige und ausreichende Bereitstellung von Bauland. Erhebliche Reserven schlummerten auf bereits bebauten Grundstücken, da häufig eine dichtere Bebauung rechtlich zulässig sei. „Wohnraum in zweiter Reihe oder das Aufstocken bestehender Gebäude sind vielversprechende Alternativen zu Neubauten auf der grünen Wiese.“
Die Experten erwarten zudem, dass die Europäische Zentralbank 2019 die Zinswende einleiten und danach die Zügel weiter straffen wird. „Mit Verbesserung der wirtschaftlichen Lage dürfte die EZB langsam aus der unkonventionellen Geldpolitik aussteigen.“ Die Institute nehmen an, dass im Herbst 2019 zunächst der sogenannte Einlagensatz um 0,15 Punkte auf minus 0,25 Prozent gesetzt wird. Damit wäre es für Geldhäuser nicht mehr so teuer, überschüssige Mittel über Nacht bei der Notenbank zu parken. Beim eigentlichen Leitzins, der bei 0,0 Prozent liegt, dürfte ein erster Schritt nach oben um 0,25 Punkte Ende 2019 anstehen. Er ist der Schlüsselsatz für die Versorgung der Banken mit Geld. Bis Ende 2020 erwarten die Forscher dann 0,75 Prozent.