Tirols Moderne ist anders
Die Neupräsentation der Tiroler Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Tiroler Landesmuseum ist ebenso klug wie ästhetisch überzeugend gemacht.
Von Edith Schlocker
Innsbruck –Die Umzugskartons, die in den letzten Monaten 800 kostbare museale Quadratmeter verstellt haben, sind inzwischen im Haller Depot gelandet und ausgepackt. Um Platz zu machen für die Tiroler Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die – nach der Spätgotik – unzweifelhaft die qualitätsvollste und facettenreichste der lokalen Kunstgeschichte ist. Was die von Günther Dankl und Günther Moschig kuratierte Neuhängung dieser Epoche eindrucksvoll vorführt und wieder einmal klarmacht, welche Schätze das Landesmuseum sein Eigen nennt. Sind doch mehr als 90 Prozent der gehängten Arbeiten aus eigenen Beständen, ergänzt durch wenige, für die Logik des Gezeigten wichtige Leihgaben.
Um einen neuen Blick auf die Tiroler Kunstgeschichte zu werfen. Sie nicht chronologisch linear nachzuerzählen, sondern letztlich die Frage zu stellen, ob es eine Tiroler Moderne überhaupt gibt und wenn, was das typisch Tirolische an ihr ist. Fragen, die in einer klugen, schön mit Sichtachsen spielenden Setzung auf teilweise pastelligen Wänden aufbereitet werden. Mit dem Resümee, dass die Moderne als großstädtisches Phänomen in Tirol nie wirklich angekommen ist, um stattdessen auf hohem Niveau eine gemäßigte Variante zu entwickeln. Einzelne avantgarde Positionen ausgenommen.
Dankl und Moschig strukturieren den opulenten, sämtliche künstlerische Themen und Techniken umfassenden Bilderreigen raffiniert anhand der ästhetischen Temperamente ihrer Schöpfer. Die nicht zuletzt auch damit zu tun haben, wo diese studiert haben. So ist etwa die Münchner Schule prägend für die Malweisen eines Theodor von Hörmann, Hans Weber-Tyrol oder Leo Putz, der sich später allerdings aus diesen Fängen befreien wird, um sich über den Sezessionismus zu einem farbig durchpulsten Expressionisten zu wandeln, was ihn in der NS-Zeit zum Entarteten machen wird.
Der Großteil der Tiroler Künstler dieser Zeit hat allerdings in Wien studiert und sich an der dortigen Moderne orientiert: Alfons Walde genauso wie Albin Egger-Lienz, Carl Moser, Max von Esterle, Christian L. Hess oder Arthur Nikodem. Gegenübergestellt Meisterwerken ihrer ganz großen Anreger Gustav Klimt, Egon Schiele oder Richard Gerstl, die zu besitzen das Landesmuseum zu Recht sehr stolz ist.
Breiten Raum nimmt in der Präsentation die Zwischenkriegszeit ein, wo viele dieser Künstler ihre sich an symbolistischen, neusachlichen oder expressiven Tendenzen orientierenden Künstlerhandschriften entwickelten. Wobei erstaunlicherweise nur ganz wenige Ausflüge in die Abstraktion wagten, was sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht zuletzt durch die Aktivitäten des Französischen Kulturinstituts grundlegend wandeln sollte, wie die Bilder zeigen, die ein Max Weiler, ein Oswald Oberhuber oder Markus Prachensky, aber auch ein Wilfried Kirschl oder eine Gerhild Diesner malten.
Die Schau wirft aber auch Seitenblicke auf Kapitel der tirolischen Kunstgeschichte dieser Zeit, die auf einen ersten Blick als Randerscheinungen daherkommen mögen. Etwa den Kreis rund um den von Oskar Kokoschka und Max Weiler im Abstand von rund 40 Jahren fabelhaft porträtierten Ludwig von Ficker, dessen bis 1954 erscheinende Zeitschrift Der Brenner zum intellektuellen Sprachrohr der Tiroler Moderne werden sollte. Das beschämende Kapitel der Tiroler Kunst während der NS-Zeit wird nur gestreift, da diese ab November in einer eigenen musealen Ausstellung kritisch aufbereitet werden wird.
PS: Das Gerücht, dass die Stelle des Kustos für zeitgenössische Kunst nach dem pensionsbedingten Abgang von Günther Dankl kommenden April nicht nachbesetzt wird, zerstreut Noch-Direktor Wolfgang Meighörner. Bereits nächste Woche werde die Stelle ausgeschrieben, die der/die Neue bereits im April antreten soll.