Wondratschek scheitert schön am „Selbstbild mit russischem Klavier“
Wien (APA) - „Selbstbild mit russischem Klavier“ ist ein ebenso treffender, wie schlichtweg falscher Titel für das neue Buch von Wolf Wondra...
Wien (APA) - „Selbstbild mit russischem Klavier“ ist ein ebenso treffender, wie schlichtweg falscher Titel für das neue Buch von Wolf Wondratschek. Denn es ist weder das eine, noch das andere. Zweifelsohne ist es ein Künstlerroman, ein Musikliebhaberroman, ein Wienroman - und natürlich ein Wondratschekroman. Jedenfalls ein Buch, das Sprache Schönes vollbringen und immer wieder scheitern lässt.
Statt einem Selbstbild ist es ein unentzweibares Doppelporträt, ein Dialog, der nicht als Bild, sondern ganz in Sprache entsteht - und der vielleicht deshalb tatsächlich ein Selbstbild ist. Statt von einem russischen Klavier handelt es von einem russischen Pianisten, einem verlorenen, einsamen, gealterten Künstler, dessen Gedankencollage eitel und dessen musikalisches Philosophieren phrasenhaft wäre, würde sie nicht im Zwiegespräch immer wieder gebrochen und ebenso ironisch wie profan unterwandert.
Ob dieses Zwiegespräch tatsächlich stattfindet, ob es ein Hirngespinst oder ein sublimiertes Selbstgespräch ist, wird von einer sprachlich dick gestrickten Nebeldecke umhüllt. Ein möglicher Plot könnte so lauten: Ein Schriftsteller trifft in einem Wiener Kaffeehaus einen alten Mann, der einst ein bekannter Pianist war. Suvorin, eine fiktionale Figur, die paradigmatisch für viele der klassisch-musikalischen Künstlerfürsten aus der Schule der Sowjetzeit stehen könnte. Vom Cafe wechselt man gottlob bald in die Außenbezirk-Pizzeria, was Wondratscheks Tiefenverständnis von Wien, wo der deutsche Autor seit Mitte der 90er auch lebt, natürlich besser gerecht wird als die verklärte Postkartenansicht der Wiener Künstlerkultur. Und da benutzt der nach dem Tod seiner geliebten Frau vereinsamte Suvorin den Erzähler als meist stummes Resonanzbord.
Es geht um das Leben im Russland der Sowjetzeit, es geht um die Musik, es geht um Selbstdarstellung und Authentizität, um politische Einvernahme und um eine große, lange Liebe, die einen halbierten Menschen zurücklässt. Um Alkohol und Applaus. (Suvorin liebt den ersten und hasst den zweiten.) „Ich habe, glaube ich, bis heute keine Ahnung, was Musik ist. Ich sitze am Klavier, ich spiele, ich liebe, was ich spiele, aber ich verstehe nichts. Nach Mitternacht, wenn ich genug getrunken hatte, spielte ich manchmal wie einer, der sich einbilden durfte, er verstünde, was er tut. Es war meine beste Zeit.“
Suvorins Sinnieren über die Musik, ob beim Italiener oder bei seinen erdachten Treffen mit dem 2016 verstorbenen österreichischen Cello-Großmeister Heinrich Schiff in dessen Wohnung, ist mitunter nah an der schöngeistigen Koketterie gebaut. Seine Überlegungen über Beethovens heimliche Liebe zum Cello, seine Diagnose, dass ihm als Musiker im Internet das „Seltene, das Unwiederholbare“ abgeht, seine Vorstellungen von Mozart, der die Augen aufschlägt und überall schwarze Punkte sieht, seine Sprachbilder von der „Stille im Fortissimo“ sind ein Attest für Wondratscheks große Liebe und Kenntnis der Musik - aber sie sind ob ihrer immanenten Gestelztheit (wie sie Sprache, die Musik in ihrem Wesen erfassen möchte, immer besitzt) nur auszuhalten durch regelmäßiges Abgleiten in Abseitiges, in jene sprachschöne Schräglage der Beobachtung, die Wondratschek zur Marke gemacht hat.
In Reinform kann man diesen streng kultivierten sprachlichen Außenseiterduktus derzeit nicht nur im neuen Roman, sondern auch in einer luxuriösen Ausgabe von Wondratscheks gesammelten Gedichten bewundern. Die 13-bändige Reihe, vom Ullstein Verlag auch mit Prosatexten angereichert und in eine hübsche, bunte Kassette gepackt, bietet, angefangen vom ikonischen „Früher begann der Tag mit einer Schusswunde“, über „Chucks Zimmer“, „Tabori in Fuschl“ oder „Gedichte für die linke Hand“, eine dichte Befeuerung mit Lakonie, Stilisierung, Empfindsamkeit und Sprachkunst des unverkennbaren Wondratschek-Stils. Nicht enthalten ist freilich sein vorletztes Buch „Selbstbild mit Ratte“ - das er bekanntlich nur für seinen Mäzen Helmut Meier zum Preis von 40.000 Euro geschrieben hat. Dieser bedachte ihn erst im Vorjahr auch noch mit dem „Alternativen Büchnerpreis“ in der Höhe von 50.000 Euro. Zuletzt verkaufte Wondratschek handgeschriebene Lyrik samt Copyright für 9.800 Euro das Stück. Der Archetyp des mittellosen, wunschlosen, uneitlen Künstlers, wie er ihn in Suvorin vollendet hat - er dürfte nur schwerlich als Selbstbild durchgehen.
(S E R V I C E - Wolf Wondratschek: „Selbstbild mit russischem Klavier“, Ullstein Verlag, 272 Seiten, 22,70 Euro)