TT-Interview

Thomas Albrich: 30 Jahre unermüdliche Recherche

© Thomas Boehm / TT

Drei Jahrzehnte hat Thomas Albrich der Zeitgeschichte gewidmet. Ein Interview zu seinem Pensionsantritt.

Wenn Sie über Ihre Projekte sprechen, dann ist die Begeisterung unüberhörbar. Wann haben Sie sich der zeitgeschichtlichen Forschung zugewandt?

Thomas Albrich: Der Weg zur Zeitgeschichte war kompliziert. Ich war 1977/78 als Anglist ein Jahr in London und ich hatte keine wissenschaftlichen Ambitionen. Ich wollte Lehrer werden. Ich habe dort an der Wiener Library, einem der weltweit wichtigsten Holocaust-Archive, gearbeitet. Archivdirektor Walter Laqueur, ein großer Zionismus-Forscher, wollte wissen, wie weit ich mit meiner Dissertation sei. Ich entgegnete ihm, ich wolle keine Forschungsarbeit schreiben. Er konnte mich aber vom Gegenteil überzeugen.

Worüber haben Sie Ihre Dissertation geschrieben?

Albrich: Über jüdische Kriegs- und Nachkriegsflüchtlinge, die in der britischen Besatzungszone, in Kärnten und in der Steiermark, lebten. Der englische Fachbegriff dafür lautet „Displaced Persons". Menschen, die kriegsbedingt ihre Heimat verlassen müssen. Übrigens ein Phänomen, von dem auch unsere Gegenwart geprägt ist.

Haben Sie damals schon Interviews mit jüdischen Überlebenden geführt?

Albrich: Nein, mein Fokus lag in den späten 1970er-Jahren auf den jüdischen Hilfsorganisationen. Ich fand in London einen Quellenbestand einer englisch-jüdischen Hilfsorganisation. Das war der Einstieg in meine Dissertation.

Sie haben in den 80er-Jahren am neu gegründeten Institut für Zeitgeschichte an der Uni Innsbruck eine Stelle bekommen. Wie war der Forschungsstand zur jüdischen Nachkriegsgeschichte damals?

Albrich: Die Quellen bestanden aus etwa fünf englischen Büchern mit einigen Sätzen zu Österreich. Mehr gab es nicht. Ich wurde zu Konferenzen in die USA eingeladen, weil ich einer der wenigen war, der über die überlebenden Juden in Österreich geforscht hatte. Diese Situation blieb so bis Anfang der 1990er-Jahre.

Wann genau haben sich andere Wissenschafter für dieses Forschungsfeld zu interessieren begonnen?

Albrich: Ich habe 1992 ein Seminar angeboten, in dem ich der Frage nachgegangen bin, welche Juden in Tirol Opfer des Nationalsozialismus wurden. Das war mein Einstieg in die biografische Forschung. Unter den damaligen Studierenden befanden sich heute etablierte HistorikerInnen, etwa Niko Hofinger oder Ingrid Böhler. 1998 ist das erste Buch zum jüdischen Leben in Tirol und Vorarlberg unter dem Titel „Wir lebten wie sie" erschienen. Als dieses Buch vorlag, wurde mir klar, welch große Forschungslücke bisher bestanden hatte.

Würden Sie sagen, dass das jüdische Leben in Tirol heute lückenlos erforscht ist?

Albrich: Eine historische Forschung ist nie abgeschlossen, doch die großen Bereiche haben wir sehr genau erforscht. Für mich war es wichtig, eine neue Generation von HistorikerInnen heranzuziehen. Wir haben eine Datenbank der jüdischen Bevölkerung in Tirol seit 1300 entwickelt, die auch mit Südtirol und Trentino vernetzt ist. Derzeit finden sich 20.000 Namen von Jüdinnen und Juden darin.

Am 1. Oktober gehen Sie in Pension. Welche Pläne haben Sie?

Albrich: Ohne Forschung ist mein Leben derzeit schwer vorstellbar. Ich bin natürlich freier, weil ich nicht mehr in der Lehre tätig bin. Derzeit erforsche ich die Aktivitäten jüdischer Organisationen und ihre Rolle im Kalten Krieg in Osteuropa. Demnächst erscheint ein neues Buch über Österreich-Ungarns Fliegerasse im Ersten Weltkrieg. So gesehen gehe ich wohl eher in den „Unruhestand".

Das Gespräch führte Gerlinde Tamerl.

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