„Mr. Brexit“ will nicht EVP-Spitzenkandidat bei Europawahl werden
Brüssel (APA/Reuters) - EU-Brexit-Chefverhandler Michel Barnier bewirbt sich wegen der zähen Verhandlungen über den EU-Austritt Großbritanni...
Brüssel (APA/Reuters) - EU-Brexit-Chefverhandler Michel Barnier bewirbt sich wegen der zähen Verhandlungen über den EU-Austritt Großbritanniens nicht um die Spitzenkandidatur der Europäischen Volkspartei (EVP). „Ich habe heute beschlossen, nicht für die Nominierung als Spitzenkandidat der EVP für die Europawahlen zu kandidieren“, sagte Barnier am Freitag.
Der Franzose war im Gespräch als potenzieller Kandidat der Konservativen. Damit steigen die Chancen des bayerischen Christsozialen Manfred Weber, der als bisher einziger Bewerber Anfang des Monats erklärte, die EVP in die Wahlen im Mai führen zu wollen. Der bisherige EVP-Fraktionschef im Europaparlament wird auch von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) unterstützt. Der Gewinner des Europavotums darf sich Chancen auf die Nachfolge von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker ausrechnen, der nicht mehr antreten wird.
Barnier begründet seine Absage mit den Verhandlungen über den EU-Ausstieg von Großbritannien, die er seit eineinhalb Jahren für die gesamte EU führt. „Es ist meine Pflicht und Verantwortung, die Brexit-Verhandlungen bis zum Ende fortzusetzen“, betonte er in einem Schreiben an den EVP-Vorsitzenden Joseph Daul. Seine Verpflichtungen seien „nicht kompatibel“ mit dem Zeitplan, den die EVP für die Kür ihres Spitzenkandidaten festgelegt habe. Der 67-jährige Barnier war bereits 2014 ins Rennen um die EVP-Spitzenkandidatur gegangen, unterlag aber dem heutigen Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker.
Der französische Konservative ließ aber durchblicken, dass er mögliche Ambitionen auf das Amt des EU-Kommissionspräsidenten nicht ganz abgeschrieben hat. So verweist er in dem Schreiben darauf, dass ihm die Entscheidung „wegen der zahlreichen Aufforderungen und Unterstützungsbekundungen“ nicht leicht gefallen sei. Der Erklärung fügte er handschriftlich einen Satz hinzu, in dem er betont, dass er sich auch in der Zukunft „engagieren“ werde und „bereit ist, unsere Werte zu verteidigen und gemeinsam das europäische Projekt zu erneuern“. Beobachter werteten dies als Hinweis, dass er nach der Europawahl als möglicher Kompromisskandidat zur Verfügung stehen könnte.
Als weiterer Bewerber für die EVP-Kandidatur wird der frühere finnische Ministerpräsident Alexander Stubb gehandelt. Er hatte am 17. September getwittert, dass er noch überlege und sich „in zwei, drei Wochen“ entscheiden werde. Letzter Bewerbungstermin ist der 17. Oktober. Die endgültige Entscheidung fällt auf einem Parteitag am 7. und 8. November in Helsinki. Die EVP, die bei der Europawahl ihre Position als mandatsstärkste Kraft im Europaparlament verteidigten dürfte, setzt sich zusammen aus Mitte-Rechts-Parteien der einzelnen EU-Mitgliedsländer.
Bei den europäischen Sozialdemokraten haben bisher Vize-EU-Kommissionspräsident Maros Sefcovic aus der Slowakei und Ex-Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) ihren Hut in den Ring geworfen. Beide benötigen aber die explizite Unterstützung von neun sozialdemokratischen Parteien Europas, um sich beim SPE-Kongress Anfang Dezember den Delegierten stellen zu können. Sefcovic will sich diese Unterstützung bereits in mehreren mittelosteuropäischen Ländern, die teilweise mit zwei Parteien in der SPE vertreten sind, gesichert haben.
Prognosen zufolge müssen die beiden großen Parteifamilien damit rechnen, bei der Europawahl erstmals gemeinsam nicht mehr auf eine absolute Mandatsmehrheit zu kommen. Damit steht auch das Spitzenkandidatensystem, das bei der Wahl 2014 den EU-Staats- und Regierungschefs aufgezwungen worden war, infrage. Weder die neue Bewegung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron noch die Liberalen, die voraussichtlich als Mehrheitsbeschaffer benötigt werden, wollen einen Automatismus in dieser Frage akzeptieren.