„Marias Testament“ in der Josefstadt: Vielfalt statt Dreifaltigkeit

Wien (APA) - Tausendmal gemalt, tausendmal eine Facette: Keine Frau ist so oft dargestellt worden wie Maria, die Mutter Jesu. Dennoch domini...

Wien (APA) - Tausendmal gemalt, tausendmal eine Facette: Keine Frau ist so oft dargestellt worden wie Maria, die Mutter Jesu. Dennoch dominiert ein Bild die Wahrnehmung: Maria als fromme Mutter, die stumm zum Wohle der Menschheit litt. Elmar Goerden versucht in seiner Inszenierung von „Marias Testament“, die seit Samstag im Theater in der Josefstadt zu sehen ist, der Gottesmutter eine eigene Stimme zu geben.

Sie spottet, ist verzweifelt, tief traurig. Maria, gespielt von Nicole Heesters, ist eine alte Frau. Jahrzehnte nach der Kreuzigung ihres Sohnes hat sie in ihrem Exil in der Stadt Ephesus nichts zu verlieren. Daher schildert sie, was wirklich geschah, „damals am Hügel“ und davor. In einem eineinhalbstündigen Monolog erzählt Heesters dem Publikum von ihrem Sohn, dessen Name ihr vor Schmerz nicht über die Lippen kommt, von der Bedrängung seiner Anhänger und seiner Kreuzigung.

Heesters hat in dieser Inszenierung von Colm Toibins 2012 erschienener dünner Novelle, die im Februar an den Hamburger Kammerspielen herauskam, die Bühne für sich. Nur zwei Tische flankieren sie, der eine mit Haushaltswaren - Kartoffeln, Trog, Thermoskanne -, der andere leer bis auf einen Apfel. Dennoch sind mehrere Figuren drückend präsent. Der verstorbene Ehemann Josef, symbolisiert durch einen Holzstuhl an der Rückwand des Raumes. Zwei Jünger Jesu, „Aufpasser“, wie Maria sie nennt, die nicht mit ihrer weltlichen Sicht auf die Geschehnisse einverstanden sind. Die Männer schreiben am Neuen Testament und wollen die Wunder von Marias Sohn festhalten. Und schließlich auch jene still leidende Gottesmutter aus der Bibel, die Maria nie war und nie sein wollte. Wie eine Drohung liegt der charakteristische blaue Umhang auf der Bühne.

Die Gesprächspartner leben durch Heesters Erzählungen, durch ihre Gesichtsausdrücke, Körperhaltung und Stimmlagen. Unterstützt wird die Darstellerin bloß durch die Lichttechnik (von Ralf Strobel), die mal Teile der in Weiß und Grautönen gehaltenen Bühne beleuchtet, so dass ihr Gesicht dunkel wirkt. Ein anderes Mal wieder ist es hell. Warmes, orangenes Licht dringt bis in den Zuschauerraum und vervielfacht Heesters Gesten als überdimensionale Schatten an der dahinterliegenden leeren Wand.

Nicole Heesters kann Nuanciertheit - ein verstohlener Blick zu beiden Seiten, wenn sie etwas Blasphemisches äußert, als ob sie sich wundere, dass die Welt noch stehe. Sie kann große, überschwängliche Gesten, das Gesicht vor Wut rot verzerrt. Das Stück ist der 81-Jährigen auf den Leib geschrieben, man merkt, mit ihr und dem Regisseur Goerden arbeiten zwei zusammen, die einander kennen. Und auch wenn man Heesters zwar alles abkauft, bei Maria verhält es sich anders. Es ist wenig glaubwürdig, dass es ihr in erster Linie um ihren Sohn geht. Zu lange hält der Monolog sich damit auf, wie absurd die ihm zugeschriebenen Taten seien. Wie Jesu Lazarus zum Leben erweckte, oder Wasser zu Wein verwandelt haben soll.

Die Figur Maria ist über weite Strecken zweidimensional: Entweder ist sie spöttisch über die Taten ihres Sohnes und dessen Anhänger oder verzweifelt. Es kommt kein Gefühl der Nähe zwischen ihr und ihrem Sohn auf. Ihre Erzählungen erinnern an jene von radikalisierten Männern, wie man sie heute liest: Sie begeben sich in falsche Kreise, entfremden sich von ihrer Familie und glauben an das Ende der bekannten Weltordnung. Sie betont immer wieder, es waren nur Männer, „Alltagsverlierer“, dubiose Gestalten, die einer Frau nicht in die Augen sehen konnten.

Das Stück erzählt die Geschichte Marias aus einer Sichtweise, die wohl nur in Ausnahmefällen im Religionsunterricht bedacht wird. Von einer Mutter, die die Naivität und den Wunsch ihres Umfeldes nach Einfachheit nicht verstehen kann. Maria ist eine rationale Frau in einer Gesellschaft, die vom ewigen Leben und von Wundern spricht. Gezielt plump verdeutlichen das mehrere Szenen: Wenn die alte Frau von der Kreuzigung als „das beschämendste Bild, das Menschen je heraufbeschworen haben“, spricht oder explizit darauf hinweist, dass Jesu ihr Sohn aus Fleisch und Blut sei, den sie mit ihrem Ehemann Josef gezeugt hat, obwohl man ihr anderes einreden wolle.

„Marias Testament“ hinterfragt den Glauben. Nicht jenen in die Religion, sondern den in Institutionen und Geschichtsschreibung generell. Maria erinnere sich nicht, woran sie sich erinnern solle, erzählt sie. Ihre Aufpasser wollen, dass sie geradlinig berichtet, „um eine einfache Lehre aus den Dingen zu ziehen, die nicht einfach sind“. Sie wollen von ihrer Trauer bei der Kreuzigung hören - Heesters erzählt von Pferden, die beschlagen werden, den Gerüchen am Marktplatz, zerfetzten Kaninchen und letztendlich ihrer Flucht. Ihre Vielschichtigkeit passt nicht in die einfache, eingängige Geschichte der Evangelisten.

Nach neunzig Minuten endet die Aufführung mit dem Bekenntnis einer Mutter, am Ende das eigene Leben vor jenes des Sohnes gestellt zu haben. Erst als der Schweinwerfer Heesters erleuchtet, schwillt der zunächst zögerliche Applaus an, es gibt Standing Ovations. Der Beifall gilt in erster Linie der Darstellerin, erst dann der Inszenierung, die auch ihre Längen hat.

(S E R V I C E - „Marias Testament“ nach dem Roman von Colm Toibin, Regie und Bühne: Elmar Goerden, Kostüme: Lydia Kirchleitner. Mit Nicole Heesters. Eine Produktion der Hamburger Kammerspiele im Theater in der Josefstadt, Josefstädter Straße 26, 1080 Wien. Nächste Vorstellungen am 30. September sowie am 1., 12. und 13. Oktober, 26. und 27. November, Karten unter Tel. (01) 42700-300 sowie unter www.josefstadt.org )

(B I L D A V I S O – Pressebilder stehen im Pressebereich von www.josefstadt.org zum Download bereit.)