„Cavalleria/Pagliacci“ in Graz: Am Dorfplatz ist Zombieparty

Graz (APA) - Mit „Cavalleria rusticana“ und „Pagliacci“ hat die Oper Graz am Samstag einen unter der Stabführung von Chefdirigentin Oksana L...

Graz (APA) - Mit „Cavalleria rusticana“ und „Pagliacci“ hat die Oper Graz am Samstag einen unter der Stabführung von Chefdirigentin Oksana Lyniv musikalisch gelungenen, szenisch nur mittelmäßigen Saisonauftakt gesetzt. Im ersten Teil herrschte dumpfe Gleichgültigkeit, während nach der Pause Zombies und Videos aufgeboten wurden. Auf der Strecke blieben die Beziehungen, um die es aber in erster Linie geht.

Die Bühne (Paul Zoller) zeigt zunächst einen verkommenen Dorfplatz, der von grauen Bretterwänden, auf denen eine Lichterkette hängt, begrenzt wird. Dort steigt ein ziemlich zerstörter Clown herum, als wäre alles schon vorbei. Möglicherweise hat das Geschehen beider Opern vor langer Zeit stattgefunden, was geblieben ist, sind ein paar Blumen und Müll. Im Film würde noch ein Plastiksackerl vom Wind herumgeweht werden.

Regisseur Lorenzo Fioronis „Cavalleria rusticana“ zeigt eine freudlose Gesellschaft, in der die Frauen von den Männer nur belästigt, unterdrückt oder gedemütigt werden - von einer öffentlichen Entjungferung und dem Schwenken eines blutigen Taschentuchs bis zum Herunterreißen der Kleidung vor allen anderen. Die Kirche spielt in dieser Welt kaum noch eine Rolle, also schauen sich die Dorfbewohner den Ostergottesdienst im Fernsehen an und schunkeln dazu. Zuletzt ist einer tot und von oben senkt sich drohend ein Gemälde, auf dem Gott und einige Dorfbewohner zu sehen sind.

Das Zwischenspiel - bekannteste Nummer der ganzen Oper - wurde gleich zweimal hintereinander dargeboten. Zunächst von einer Fünf-Mann-Combo, während einige Chormitglieder an ein Mikrofon traten und etwas über sich erzählten. Nach diesem etwas zähen Einschub spielte das Orchester das Intermezzo nochmals, und das war dann fast zu viel, obwohl es so subtil und unsentimental wie nur möglich ertönte.

Nach der Pause wechselte die Szenerie auf eine Müllhalde, wo sich Zombies in Kostümen aus allen möglichen Epochen trafen. Die aufgemalte Gottfigur aus dem ersten Teil kehrte nun als Bajazzo wieder. Nachdem Canio den Verrat seiner Nedda entdeckt, wird er zum Sandler, der sich im Kino einen Film anschaut, was an sich für das Stück im Stück eine schlüssige Idee ist. Gespielt wird dann wieder auf der Bühne, wo sich das finale Commedia dell‘Arte Spiel in einer ärmlichen Küche vollzieht. Dort lungern unsagbar hässlich hergerichtete Männer eifersüchtig herum, bis es wieder Tote gibt.

Es ist problematisch, aus einem an sich schon realistischen Stoff noch mehr Realität herausholen zu wollen, wie es Fioroni in „Cavalleria“ mit 1970er-Jahre-Optik versuchte. Die aufgesetzte Gesellschaftskritik lief ins Leere, weil bei dieser Geschichte die Wurzel der Tragik eben nicht in der Gesellschaft liegt, sondern durch die ungezügelten Gefühle entsteht. Der Aufmarsch der Untoten sowie die teilweise Transponierung der Handlung in einen Film bei „Pagliacci“ schuf eine andere Wirklichkeit, hier ist man vom Realismus wieder weit abgerückt.

Musikalisch war der Abend ein Vergnügen, Chefdirigentin Oskana Lyniv sorgte für Klarheit und subtilen Ausdruck auf der Bühne und bei den hervorragend disponierten Grazer Philharmonikern. Mit Aldo Di Toro stand in beiden Opern ein ausgezeichneter Tenor zur Verfügung. Er sang Turrido mit ebensolchem Schmelz und müheloser Höhe wie er Canio mit Härte, Verzweiflung und großartigen Spitzentönen ausstattete. Ebenfalls doppelt im Einsatz war Audun Iversen, der den machohaften Alfio ebenso überzeugend gab wie den intriganten Tonio und beide mit seinem schmelzenden Bariton Farbe verlieh. Ezgi Kutlu gab eine hysterische, aber stimmlich bewegliche Santuzza, während Aurelia Florian als Nedda mit starkem Vibrato und eher dunklem Sopran ziemlich erdschwer wirkte. Neven Crnic war ein weichtönender Silvio, Mareike Janowski musste als verführerische Lola mehr Kaugummi kauen als singen. Was Weltstar Cheryl Studer (Lucia) bewogen hat, in diesem Panoptikum mitzuwirken, weiß nur sie selbst. Das in unzähligen seltsamen Aufführungen gestählte Graz Publikum nahm den Abend mit Gleichmut, einigen Bravos und kurzem Applaus hin.

(S E R V I C E - „Cavalleria rusticana/Pagliacci“ von Pietro Mascagni und Ruggero Leoncavallo in der Grazer Oper. Musikalische Leitung: Oksana Lyniv/Marius Burkert, Inszenierung: Lorenzo Fioroni, Bühne: Paul Zoller, Kostüme: Annette Braun. Mit Ezgi Kutlu (Santuzza), Aldo Di Toro (Turiddu, Canio), Cheryl Studer/Aura Twarowska (Lucia), Audun Iversen/Yngve Söberg (Alfio, Tonio), Mareike Jankowski (Lola), Aurelia Florian/Sonja Saric (Nedda), Martin Fournier/Albert Memeti (Beppo), Ivan Orescanin/Neven Crnic (Silvio). Nächste Vorstellungen: 4., 7., 10., 19., 28. Oktober, Karten: 0316/8000, http://www.oper-graz.com)