Erdogans Deutschland-Besuch - Hoffen auf Risse im türkischen Beton

Berlin (APA/Reuters) - Zumindest Recep Tayyip Erdogan war am Ende hochzufrieden. Der Staatsbesuch sei „fruchtbar und erfolgreich“ gewesen, z...

Berlin (APA/Reuters) - Zumindest Recep Tayyip Erdogan war am Ende hochzufrieden. Der Staatsbesuch sei „fruchtbar und erfolgreich“ gewesen, zog der türkische Präsident am Samstag Bilanz seiner dreitägigen Visite in Deutschland. Dabei endete dieser mit einem aus deutscher Sicht unschönen Akt.

Bei der Einweihung der Kölner Moschee des türkischen Ditib-Verbandes nahm kein einziger deutscher oder lokaler Spitzenpolitiker teil. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet bedauerte, dass die Teilnahme des türkischen Präsidenten das eigentlich geplante Signal der Offenheit für das deutsch-türkische Miteinander in Köln in ein Signal der Abschottung verwandelt habe. „Es ist kein Gebetshaus, dass die Stadtgesellschaft zusammenführt“, kritisierte auch SPD-Fraktionsvize Rolf Mützenich.

Dennoch ist man in der Bundesregierung nicht unzufrieden mit der umstrittenen Visite - auch wenn der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen, harsche Kritik übte. „Verlauf von Staatsbesuch Erdogan zeigt, der Zeitpunkt war falsch, deutlich zu früh gewählt“, twitterte der CDU-Politiker. „Was auch immer man sich erwartet hat, klar geworden ist, dass die wechselseitigen Fehleinschätzungen noch größer als gedacht sind.“

Das sieht man allerdings in der Bundesregierung anders. Es komme auf den Maßstab der Erwartungen an, heißt es dort. „Wer nicht miteinander spricht, wird auch keine gemeinsamen Positionen finden“, hatte etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel gesagt und auch während des Besuch die „tiefgreifenden“ Differenzen betont.

Ausdrücklich hatte der einladende Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gewarnt, dass ein Staatsbesuch alleine keine Normalität in dem seit Jahren durch Erdogans Verhaftungswelle und verbale Attacken gegen Deutschland belasteten Verhältnis schaffen könne.

„Trotz der erkennbaren Differenzen war es richtig, dass der Bundespräsident in Absprache mit der Bundesregierung die Einladung ausgesprochen hat“, sagte auch Mützenich am Sonntag Reuters - obwohl der Besuch alles andere als harmonisch gewesen sei. Man müsse einfach wieder ins Gespräch kommen. Und der Besuch hat den türkischen Präsidenten immer wieder mit dem konfrontiert, was er in Ankara verhindern kann - mit klarer Kritik, wird in der Regierung argumentiert. So musste sich Erdogan sowohl im Gespräch mit Merkel, der gemeinsamen Pressekonferenz sowie beim Staatsbankett deutliche Worte zu den Menschenrechts- und Rechtsstaatsdefiziten unter seiner Führung anhören.

Außenpolitik sei nun einmal das ständige Aufeinanderprallen sehr unterschiedlicher Standpunkte und auch Werte, heißt es in Berlin. Erfolg oder Misserfolg eines Besuches könne man daher nicht an öffentlichen Äußerungen von Erdogan messen. Sein Vorwurf etwa beim Staatsbankett, Deutschland leiste durch die Aufnahme verfolgter Journalisten „Terrorunterstützung“, gehört seit Jahren zu seinem Standard-Repertoire an Provokationen und perlt an der Bundesregierung ohnehin ab. Journalisten wie der in der Türkei wegen angeblicher Terrormitgliedschaft verurteilte Can Dündar müssen keine Auslieferung an die Türkei fürchten.

Kritiker ziehen aber eine andere Bilanz. Dabei geht es etwa dem außenpolitischen Sprecher der Grünen, Omid Nouripour, weniger um die Gespräche selbst als um die Etikette. „Das Format eines Staatsbesuchs hat in die türkische Öffentlichkeit hinein eine Normalisierung suggeriert, die es derzeit nicht geben kann“, sagte er Reuters. Für den gebotenen Pomp sei das Land aber zu weit von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit entfernt.

CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer betonte, sie hätte an dem Staatsbankett auch bei einer Einladung nicht teilgenommen. Grünen-Politiker Cem Özdemir fordert eine härtere Gangart und die Drohung mit einer Einschränkung der Hermes-Exportbürgschaften. Nur diese Sprache verstehe Erdogan.

Regierung und Präsidialamt fechten dies nicht an. Denn die Chance für eine zumindest leichte Kursveränderung der türkischen Führung sei derzeit sehr gut, heißt es. Immerhin steht Erdogan wirtschaftlich und politisch so unter Druck, dass er plötzlich wieder den Kontakt zur EU und Deutschland suchen muss: Die Wirtschaft droht zu kollabieren, mit dem wichtigsten Verbündeten USA hat sich Ankara überworfen.

Merkel und Erdogan betonten deshalb bei allen Differenzen auch wichtige gemeinsame Interessen. Dazu gehört das Abwenden eines Zusammenbruchs der türkischen Wirtschaft ebenso wie eine Lösung der Lage in Syrien und zu verhindern, dass aus dem Bürgerkriegsland wieder viele Menschen flüchten. Merkel schlug einen Vierer-Gipfel mit den Präsidenten der Türkei, Frankreichs und Russlands zu Syrien vor.

Doch ob der Besuch am Ende wirklich ein Erfolg war oder nicht, wird sich nach Ansicht des SPD-Politikers Mützenich erst in den kommenden Wochen zeigen - wenn nämlich Risse im türkischen Politik-Beton des Präsidenten sichtbar werden sollten. Verwiesen wird darauf, dass Erdogan immerhin die eindringlichen Mahnungen, die Unabhängigkeit der türkischen Zentralbank zu wahren, beherzigt zu haben scheint.

In der Bundesregierung wird zudem darauf verwiesen, dass es auch mit China mit seiner noch viel systematischeren Unterdrückung der Opposition durchaus Erfolge einer stillen Diplomatie gebe. So durfte die schwerkranke Menschenrechtlerin Liu Xia Wochen nach einer Intervention von Merkel in Peking nach Deutschland ausreisen. Deshalb gibt es Hoffnung zumindest für die noch fünf aus politischen Gründen inhaftierten Deutschen in der Türkei. „Manchmal dauert das lang“, dämpfte Merkel aber vorsorglich Erwartungen an schnelle Erfolge.